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THOMAE-Interview: Wir müssen lernen, mit dem Virus umzugehen
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Stephan Thomae gab der „Allgäuer Zeitung“ (Mittwochsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Uli Hagemeier:
Frage: Die Krise sei die Zeit der Exekutive, heißt es – was tut die Opposition, um an der Lösung der Krise mitzuarbeiten und sich zu positionieren?
Thomae: Die Opposition im Bundestag ist nun sehr staatstragend und konstruktiv. Es gibt viele Kontakte zu anderen Abgeordneten, auch zu Ministern. Auf diesem Weg äußere ich Gedanken, Einwände, Vorschläge zu den jetzt innerhalb kurzer Zeit beschlossenen Gesetzen. Das wird auch gehört und fließt in die Gesetze ein.
Frage: Wie beurteilen Sie das Krisenmanagement in Bund und Freistaat?
Thomae: Im Großen und Ganzen sind die beschlossenen Maßnahmen erforderlich und angemessen. Mit Blick auf den Freistaat habe ich das Gefühl, Herr Söder nutzt die Situation auch, um sich zu positionieren – wenn etwas informell mit anderen Ministerpräsidenten besprochen ist, prescht er vor, verkündet ein bisschen früher und ein bisschen mehr, was die anderen ärgert. Bundesweit betrachtet ist es unverständlich, dass manche Dinge unterschiedlich gehandhabt werden.
Frage: Je länger die Phase dauert, desto lauter wird die Kritik an der Einschränkung von Freiheitsrechten. Teilen Sie diese Kritik?
Thomae: Man muss diese Kritik auf jeden Fall ernst nehmen. Die Unversehrtheit von Leib und Leben und die Freiheitsrechte sind gleichwertig. Alle Maßnahmen müssen deshalb notwendig, geeignet und angemessen sein. Wir werden für lange Zeit mit dem Coronavirus leben müssen und lernen, damit umzugehen. Deshalb darf unser Gesellschaftsmodell aber nicht untergehen, unsere Grund- und Freiheitsrechte dürfen nicht suspendiert werden.
Frage: Wie beurteilen Sie die geplante Corona-App?
Thomae: Da gibt es ja drei Vorschläge: Gesundheitsminister Spahn hatte eine Funkzellen-Auswertung vorgeschlagen, das ist aber technisch nicht ausgereift und rechtlich bedenklich. Die Bewegungsprofile der Handynutzer sind nachvollziehbar. Der zweite Vorschlag beruht auf der GPS-Technik und wurde in Südkorea angewendet. Das ist deutlich genauer, funktioniert aber nicht bei Hochhäusern - man weiß nicht, in welchem Stockwerk eine infizierte Person sich aufgehalten hat. Außerdem sind auch dabei Bewegungsprofile nachvollziehbar. Das werden die Menschen in Deutschland nicht akzeptieren, sie umgehen eine solche Überwachung und lassen ihr Handy beispielsweise daheim. Unser Vorschlag basiert daher auf der Bluetooth-Technologie. Auch sie hat eine gewisse Fehlertoleranz, aber es wird nicht festgehalten, wo man Kontakt hatte, sondern es gibt eine Information darüber, dass man Kontakt zu einem Infizierten hatte. Das System basiert außerdem auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. Es ist der technisch und rechtlich beste Weg, um sich selbst zu schützen sowie die Ausbreitung des Virus zu kontrollieren und zu bremsen.
Frage: Wie gut war Deutschland auf eine solche Pandemie vorbereitet? Welche Lehren müssen wir ziehen?
Thomae: Faktisch funktioniert bei uns ja Vieles gut. Offenbar können unsere Gesellschaft, unsere Verwaltung und unser Gesundheitssystem vergleichsweise gut mit solchen Situationen umgehen. Sicher hilft uns auch, dass der Gesundheitszustand und die Hygienestandards höher sind als in anderen Ländern. Wir sehen aber auch, dass es in der Handhabung erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern gibt. Eine Pandemie macht nicht an Ländergrenzen Halt, deshalb müssen wir deren Bekämpfung zentral steuern. Die Bundesregierung muss das an sich ziehen und konzertierte Maßnahmen erlassen können. Sonst leiden diejenigen Bundesländer darunter, die sich schnell stark eingeschränkt haben, um ihre Bevölkerung zu schützen.
Frage: Gilt das auch für die Ebene der EU?
Thomae: Ja, und zwar rechtlich, politisch sowie auch mit Blick auf die Gesundheitssysteme muss man in solchen Situationen zentral steuern können. Die EU hätte schon lange gern solche Kompetenzen, aber die Nationalstaaten haben ihr das immer verweigert. Das muss man ehrlich sagen, statt der EU vorzuwerfen, jetzt nicht handlungsfähig zu sein. Wir leben in einer Grenzregion. Österreich hat am Dienstag angefangen, die Einschränkungen zu lockern - wäre eine gemeinsame Lösung mit den Nachbarn oder auf EU-Ebene sinnvoller? Thomae: Ja, das wäre wünschenswert. Südbayern, Österreich und Norditalien sind doch im Prinzip ein gemeinsamer Wirtschaftsraum. Wir nutzen gemeinsame Verkehrs- und Güterachsen, wir hängen eng zusammen. Dafür brauchen wir auch gemeinsame Lösungen. Stattdessen haben wir zu Beginn der Krise gesehen, dass an geschlossenen Grenzen zu Osteuropa Lastwagen tagelang festhingen und die geladenen Lebensmittel verdorben sind. In einem Europa ohne Grenzen müssen wir auch europäisch handeln.
Frage: Sie sind auch kommunalpolitisch aktiv, derzeit noch Kreisrat im Oberallgäu. Wie stark wird die Pandemie die Arbeit in den Kommunen für die kommenden Jahre verändern?
Thomae: Die Kommunen werden weniger Einnahmen haben und sich stärker auf ihre Pflichtaufgaben konzentrieren müssen, statt auf die Kür. Es kommen sicher keine fetten Jahre auf uns zu. Bis vor Kurzem wurde uns der Verzicht aus ökologischen Gründen nahegelegt. Möglicherweise werden wir bald spüren, was Verzicht wirklich bedeutet.