THEURER-Gastbeitrag: Wir müssen rasch zum Normalzustand zurückkehren
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Michael Theurer schrieb für die „Wirtschaftswoche“ den folgenden Gastbeitrag:
Die Coronakrise stellt Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vor dramatische Herausforderungen. Es ist wahrlich eine Jahrhundertkrise: Als die Bundesregierung im Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012 das Szenario einer Pandemie mit einem neuartigen Coronavirus analysierte, wurde die Eintrittswahrscheinlichkeit mit „einmal alle 100 bis 1000 Jahre“ eingeordnet. Tatsächlich war die letzte so zerstörerische Pandemie die sogenannte Spanische Grippe, an der zwischen 1918 und 1920 zwischen 15 und 50 Millionen Menschen starben.
Akut muss entschlossen gehandelt werden. Die Seuchenherde müssen eingedämmt, ja niedergeschlagen werden. Gleichzeitig muss verhindert werden, dass der ökonomische Stillstand die Grundlagen unseres Wohlstands zerstört. Und nicht zuletzt gilt es darauf zu achten, dass bei all den drakonischen Maßnahmen, die ergriffen werden müssen, der Kern des liberalen Rechtsstaates und der parlamentarisch-demokratischen Institutionen intakt bleibt.
Vieles hängt jetzt kurzfristig davon ab, dass sich die Menschen in Deutschland an die verordneten Kontaktverbote halten, sodass zu keinem Zeitpunkt das Gesundheitssystem überlastet wird. Eine Überlastung würde nicht nur dazu führen, dass mehr Coronainfizierte sterben, sondern auch, dass alle anderen Kranken schlechter versorgt werden. Neben dem Abflachen der Infektionskurve muss das medizinische Personal hinreichend mit virenhemmenden Atemschutzmasken, Schutzkleidung und Desinfektionsmitteln versorgt werden. Doch schon jetzt herrscht großer Mangel.
Noch im März hatte der Gesundheitsminister beruhigt: Der Bund werde Schutzmasken kaufen. Mittlerweile wird berichtet, dass inländische Lieferanten zwar den Bund, aber nicht mehr die Kliniken beliefern. Mit solchen Maßnahmen werden nur die Löcher geschlossen, die zuvor selbst gerissen wurden.
Es rächt sich nun, dass trotz der bekannten Krisenszenarien offenbar nicht ausreichend bevorratet wurde und aufgrund mäßiger Rahmenbedingungen viele medizinische Produktionszweige abgewandert sind. Deshalb muss mit der Wirtschaft gesprochen werden, wie in Deutschland wieder Kapazitäten aufgebaut werden können. Teilweise geschieht dies bereits: Der Weltmarktführer bei Beatmungsgeräten Dräger produziert in Sonderschichten. BASF steigt in Desinfektionsmittel ein. Trigema näht Atemschutzmasken. Das sind gute Nachrichten. Wenn Deutschland flächendeckend Kapazitäten schaffen würde, könnten wir auch unseren Freunden in Spanien, Italien und anderen Ländern helfen.
Der gesellschaftliche Shutdown führt auch zu großen wirtschaftlichen Schäden. Für verschiedene Anspruchsgruppen wie etwa Mieter, Verbraucher, Kurzarbeiter, Kleinstunternehmer und Soloselbstständige gibt es Hilfen – teilweise noch unzureichend. Doch die mittleren Unternehmen zwischen 10 und 249 Mitarbeitern fallen bisher komplett durch das Raster. Denn die KfW-Kredite zu Liquiditätshilfen haken. Bei diesen gilt das Hausbankprinzip. Aber auch bei 90 Prozent Haftung werden viele Hausbanken Kredite aufgrund der Regulierung nicht vergeben dürfen, schließlich geht es hier ja nicht um Investitionen. Stattdessen muss es kurzlaufende Nullzinskredite des Staates geben – und möglicherweise stärkere finanzielle Entschädigungen für weitere Unternehmen.
Liquiditätshilfen oder auch direkte Geldspritzen werden derzeit noch wie staatliche Almosen zur Rettung der Wirtschaft dargestellt. Doch während im Regelfall die Einheit von Handeln und Haften Staatshilfen ausschließen sollte, gebietet sie hier, dass der Staat die Schäden trägt. Im Infektionsschutzgesetz war bisher schon geregelt, dass ein individuelles Tätigkeitsverbot wegen Ansteckungsgefahr zu einer vollständigen Entschädigung berechtigt.
Warum sollte das bei pauschalen Vorgaben anders sein? Die Treue zu bisher gültigen Prinzipien führt hier also zu einem anderen Handeln. In anderen Bereichen hingegen muss das Handeln bleiben, wie es war. Jede Grundrechtseinschränkung bedarf einer guten Begründung. Die parlamentarische Demokratie halten wir auch im Verteidigungsfall hoch. Doch für eine Pandemie gab es nun Vorschläge, dass die Regierung einen zeitlich unbefristeten Notstand veranlassen kann, den nicht einmal das Parlament beenden könnte. Das konnte die FDP bei der Novelle des Infektionsschutzgesetzes verhindern. Zentral ist für uns auch, dass alle Maßnahmen befristet sind und rechtsstaatliche Sicherungen der Grund- und Menschenrechte gewährt bleiben.
Wir müssen bedenken, dass es eine Zeit nach der Krise gibt. Es wäre ein Treppenwitz der Geschichte, wenn am Ende nicht nur das gefährliche Virus aus der Volksrepublik China zu uns gekommen wäre, sondern auch deren autoritäre staatliche Strukturen.
Nachdem nun die ersten Sofortmaßnahmen beschlossen sind, müssen wir diskutieren, wie wir zu einem neuen Normalzustand kommen. Ein Abflachen der Infektionskurve führt auch zu einer Verlängerung des Ausbreitungszeitraums. Für ein ganzes Jahr die halbe Gesellschaft lahmzulegen kann nicht unser Ansatz sein.
Stattdessen sollten wir auf die Bereitschaft der Bevölkerung setzen, die viele Daten sicher freiwillig zur Verfügung stellt – auch über akute Symptome. Infizierte müssen zielgenau identifiziert und isoliert werden, hierfür braucht es auch großflächige Tests. Dann kann ein Großteil der Bevölkerung zur Normalität zurückkehren.