THEURER-Gastbeitrag: Wer Freihandelsabkommen blockiert, verhindert Wohlstand
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Michael Theurer schrieb für „Wirtschaftswoche Online“ den folgenden Gastbeitrag:
Unsere Welt wird zunehmend von ängstlicher Abschottung und kurzsichtigem Protektionismus statt friedfertiger Kooperation und internationaler Arbeitsteilung dominiert. Wo diese rückständige Haltung vom ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump vorgetragen wurde, schlug ihr in Deutschland nahezu einhellige Ablehnung entgegen. Wenn jedoch die Bundesregierung ebenso agiert, wenn die Grünen in ihrem Wahlprogramm-Entwurf freien Handel an dermaßen viele Bedingungen knüpfen, dass er zur Utopie verkommt und die politischen Ränder von Linkspartei bis AfD Deutschland ohnehin zur geschlossenen Gesellschaft machen wollen, dann schweigt man lieber vornehm.
Das aktuellste Beispiel ist das Freihandels- und Investitionsschutzabkommen CETA mit Kanada. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung heißt es: „Im europäisch-kanadischen Handelsabkommen CETA sind zukunftsweisende Regelungen für den Schutz von Umwelt und Gesundheit, Arbeitnehmerrechten, öffentlicher Daseinsvorsorge und für einen fortschrittlichen Investitionsschutz vereinbart worden. Dies muss auch für künftige Handelsabkommen gelten. Wir wollen in Deutschland die Voraussetzungen dafür schaffen, dass das CETA-Abkommen umfassend in Kraft treten kann.“
Daraus könnte man schließen, dass die Bundesregierung wirklich an einer Ratifizierung von CETA arbeitet. Bisher werden ja nur jene Teile von CETA angewandt, die unstrittig in der alleinigen Zuständigkeit der EU-Gesetzgebung sind, der Rest bräuchte die Zustimmung aller EU-Mitgliedsstaaten. Die Mehrheit der Mitgliedsstaaten hat diese bereits erteilt, Deutschland nicht.
Doch die Bundesregierung arbeitet auch nicht daran. Während sie sich in anderen Bereichen – siehe Infektionsschutzgesetz – kein bisschen für verfassungsmäßige Bedenken interessiert und diese eben notfalls hinterher von Karlsruhe klären lassen will, beruft man sich hier darauf, dass erst das Bundesverfassungsgericht die Unbedenklichkeit erklären solle. Erst dann wolle man das Abkommen ratifizieren. Ein bemerkenswerter Vorgang, gerade wenn man bedenkt, dass beispielsweise Prof. Mayer von der Universität Bielefeld bei der Anhörung des Bundestags zu Protokoll gab, es gebe an der Vereinbarkeit von CETA mit dem Grundgesetz „letztlich keine vernünftigen Zweifel“.
In Wirklichkeit hat die SPD Angst vor dem Druck der gut organisierten, einflussreichen Aktivisten. Mitte des vergangenen Jahrzehnts hatten antiamerikanische und antimarktwirtschaftliche Ressentiments erst den Protest gegen das europäisch-amerikanische Abkommen TTIP befeuert und zu einem Massenphänomen werden lassen, welches sich dann auch auf CETA übertrug: Das Abkommen mit Kanada sei aufgrund des Abkommens NAFTA zwischen Kanada, den USA und Mexiko letztlich nicht nur eine Blaupause für TTIP, sondern eine Art TTIP auf Umwegen. Dieser Druck der Aktivisten könnte – so die Befürchtung – den Höhenflug der Grünen, die ihre Ablehnung gegenüber CETA auch heute noch pflegen, noch weiter beflügeln.
Und so passt es ins Bild, dass die Koalitionsmehrheit verhindert, dass es zu einer Abstimmung über CETA kommt: die FDP hat im November 2019 einen Gesetzentwurf für ein Ratifizierungsgesetz vorgelegt. Doch bis heute wurde dieser nicht im Ausschuss abschließend bearbeitet, diese Woche wurde der Tagesordnungspunkt erneut mit den Stimmen der Regierungsfraktionen von der Tagesordnung genommen und vertagt.
Im Januar 2021 kam es immerhin endlich zu einer Sachverständigenanhörung, bei der unter anderem der ehemalige SPD-Vorsitzende, Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel sich klar für eine rasche Ratifizierung aussprach. Gabriel hatte selbst nach anfänglicher Kritik dazu beigetragen, dass CETA das modernste Abkommen seiner Art ist – etwa durch die Einführung eines Handelsgerichtshofs statt der umstrittenen Schiedsgerichte. In der Anhörung zitierte er, welchen Eindruck Deutschland mit seiner Haltung zu CETA in anderen EU-Ländern vermittle: „Ihr Deutschen seid so reich und so fett, Ihr könnt es euch leisten, Exportabkommen zu stoppen.“
Dieser Eindruck ist Teil einer negativen Dynamik: Für die Bundesregierung ist Wirtschaftspolitik längst ein zweitrangiges Beschäftigungsfeld geworden, die Reformdividende insbesondere der Agenda 2010 ermöglichte es ein Jahrzehnt lang, aus dem Vollen zu schöpfen, nur über das Verteilen, nicht aber das Erwirtschaften nachzudenken. Andere Länder Europas jedoch sind noch längst nicht an diesem Punkt – und wenn man keine marktwirtschaftlichen Wohlstandsgewinne über Handelsabkommen einfahren kann, weil satte Deutsche Fortschritte blockieren, dann wendet man sich in vielen Fällen eben an China. Eine brandgefährliche Entwicklung. Wenn wir schon mit dem sozialliberal geprägten Kanada nicht in der Lage sind ein Abkommen zu verhandeln, mit wem soll das denn zukünftig noch möglich sein?
Deutschland ist schon längst nicht mehr in einer solch komfortablen Position wie Mitte des vergangenen Jahrzehnts, als man parallel von den Wirkungen der Schröder-Reformen und von den soliden, zurückhaltenden Regierungsjahren unter Schwarz-Gelb profitierte. Denn schon vor zwei Jahren war unsere Wirtschaft am Rande der Rezession, die sich abzeichnende Wirtschaftskrise wurde dann aber von der Coronakrise überschattet.
Diese enthält zwar ebenfalls eine Wirtschaftskrise. Während sie jedoch die Versäumnisse etwa im Bereich der Digitalisierung wie unter einem Brennglas sichtbar machte und einen Fortschrittsschub auslöste, ist im Bereich Wirtschaft das Gegenteil der Fall. Zehntausende Unternehmen, die schon Anfang 2020 am Rande der Insolvenz waren, werden mit Steuerzahlergeld gestützt oder durch die weiterhin nicht wieder vollständig eingeführte Insolvenzantragspflicht zu Zombieunternehmen – teilweise auch beides. Die Schwachstellen des deutschen Wirtschaftssystems – als Stichworte seien genannt: fehlende Investitionen in Infrastruktur, hohe Steuern und Abgaben, wenig nachhaltige Sozialsysteme und überbordende Bürokratie – wurden in der Krise kaschiert. Doch ewig kann das so nicht weitergehen.
Die nächste Bundesregierung wird vor der Mammutaufgabe stehen, inmitten von Klima-, Demografie-, und den Folgen der Coronakrise die Weichen auf Wettbewerbsfähigkeit zu stellen. Die Alternative ist, weiter zu machen wie bisher und Deutschland in die Zeiten des kranken Manns Europas zurückzuführen. Gerade falls nach der Bundestagswahl die Grünen in der Bundesregierung sind, droht eine handelspolitische Dauerblockade. Die SPD sollte sich um Deutschland verdient machen und die Verhandlungserfolge ihres ehemaligen Vorsitzenden noch vor der Sommerpause auch tatsächlich realisieren. Damit würde sie dem Land einen wirtschaftspolitisch kleinen Schub in die richtige Richtung geben, von dem aber eine große Signalwirkung ausginge. Der Auftrag ist klar: Lasst eure Bundestagsfraktion endlich CETA ratifizieren!