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SUDING-Interview: Die Einser-Abi-Schwemme ist Selbstbetrug
Die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Katja Suding gab der „B.Z. am Sonntag“ (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Ulrike Ruppel:
Frage: Wie war Ihr eigenes Abi?
Suding: Mein Abitur habe ich 1996 in Vechta gemacht. Geprüft wurde ich in meinen Leistungskursen Mathe und Englisch, sowie Geschichte und Biologie. Mit der Abschlussnote 1,6 war ich damals ziemlich gut.
Frage: Sind die Schüler heute schlauer?
Suding: Leider ist es so, dass die Noten immer besser werden, die Leistungen aber seit Jahren eher nach unten gehen. Die Einser-Schwemme ist daher Selbstbetrug, das Abitur wird entwertet.
Frage: Warum ist das so?
Suding: Zum einen machen Eltern verstärkt Druck, um bessere Noten zu erreichen. Auch schmücken sich viele Landespolitiker gern mit einem steigenden Durchschnitt, was für weiteren Druck auf Schulen und Lehrer sorgt.
Frage: Bringen die zentralen Abiturprüfungen in Deutsch, Mathe, Englisch, Französisch nichts?
Suding: Seit 2017 stehen den Ländern für die Hauptfächer zwar gemeinsame Aufgabenpools zur Verfügung. Aber sie können sich die Aufgaben aussuchen,es gibt verschiedenen Schwierigkeitsgrade, und sie dürfen sie verändern. Die Länder entscheiden auch, welche Hilfsmittel die Prüflinge benutzen dürfen.
Frage: Warum schneidet Berlin in Bildungsstudien immer extrem schlecht ab?
Suding: Berlin hat natürlich Besonderheiten: viele Kinder mit Migrationshintergrund, Arbeitslosigkeit ... Aber einige Probleme sind hausgemacht. Kita-Plätze sind rar, viele Schulen marode. Das Land hat zu wenig Lehrkräfte ausgebildet, braucht immer mehr Quereinsteiger. Es gibt viele Problemschulen, weswegen Eltern sogar umziehen, was die Lage weiter verschärft.
Frage: Berlin steht in Konkurrenz zu Brandenburg, wo Lehrer verbeamtet werden. Wie stehen Sie zur Verbeamtung?
Suding: Ich denke: Lehrer müssen nicht verbeamtet sein. Aber natürlich entsteht durch unterschiedliche Regelungen Konkurrenz. Wir brauchen engagierte und motivierte Menschen für den Lehrerberuf und dazu gehört auch eine bessere Bezahlung.
Frage: An deutschen Schulen, zumal in Berlin, wird viel experimentiert: jahrgangsübergreifendes Lernen, Schreiben nach Gehör ... Bringt uns das weiter?
Suding: Das deutsche Bildungssystem ist stark durch Ideologien geprägt. Ein Produkt ist die Einheitsschule, die es in manchen Ländern fast flächendeckend gibt und die desaströse Ergebnisse zeigt. Unter der Methode „Schreiben nach Gehör“ leiden vor allem Kinder, die zu Hause wenig Unterstützung haben. Trotzdem ist die Methode nicht überall verboten. Das Problem ist, dass Erkenntnisse der empirischen Bildungsforschung nicht ausreichend ins Klassenzimmer übertragen werden.
Frage: Konzentrieren wir uns bei der Förderung zu sehr auf die Schwächen und zu wenig auf Talente?
Suding: Jedes Kind hat Talente und die müssen gestärkt werden. Schwächere Schüler müssen wir genauso fördern wie die, die schnell durch den Stoff gehen. Jedes Kind hat individuelle Förderung verdient und dabei hilft digitale Bildung sehr. Lehrer werden entlastet von Routineaufgaben wie Hausaufgabenkontrollen. Lernprogramme geben dem Schüler bei der Erledigung der Aufgaben ständig Feedback. Sie erkennen, was er kann und wo es hapert. Das ermöglicht ein zielgerichtetes Arbeiten.
Frage: Wo stehen die Schulen bei der Digitalisierung?
Suding: Der Digitalpakt ist ein erster wichtiger Schritt. Aber es reicht nicht aus, nur auf technische Unterstützung zu setzen. Dann fehlen immer noch IT-Administratoren, die technische Probleme lösen. Die Lehrer sind noch nicht fortgebildet, und es fehlt weiterhin an digitalen Schulbüchern. Deshalb fordern wir einen Digitalpakt 2.0.
Frage: Einige Genossen sagen: Ohne neue Schulden kein Geld für Bildung. Was sagen Sie?
Suding: Die SPD verantwortet eine Rentenpolitik, die in den nächsten Jahren mehr als 100 Milliarden Euro an Steuerzuschüssen erfordert. Aber ohne zielgerichtet gegen Altersarmut zu wirken. Da werden falsche Prioritäten gesetzt. Selbst wenn Schulden zurzeit wenig kosten, müssen sie irgendwann zurückgezahlt werden – und die steigende Zinslast wird spätere Generationen erdrücken.
Frage: Die FDP wird zurzeit kaum wahrgenommen, die Themen setzen andere. Was läuft schief?
Suding: Während die Grünen vor allem der SPD viele Wähler weggenommen haben, ist uns das Gleiche mit der Union noch nicht gelungen. Dazu brauchen wir keinen Kurswechsel, die FDP muss aber lauter werden.
Frage: Tragen Ihnen die Wähler das Jamaika-Aus noch nach?
Suding: Wenn das so wäre, hätten wir keine Umfragewerte von um die acht Prozent.