STARK-WATZINGER-Gastbeitrag: Warum Olaf Scholz seine Pläne einer Finanztransaktionssteuer aufgeben sollte
Das FDP-Fraktionsvorstandsmitglied Bettina Stark-Watzinger schrieb für „Focus Online“ den folgenden Gastbeitrag:
Gute Nachrichten in Sachen Finanztransaktionssteuer: Olaf Scholz ist mit seinem Plan gescheitert, die Finanztransaktionssteuer ab 2021 einzuführen. Sein Ziel war es, während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im letzten Halbjahr die seit fast einer Dekade andauernde Suche nach einem machbaren Modell für die Steuer zu Ende zu bringen. Die Ursprungsidee der EU-Kommission sah jährliche Einnahmen von bis zu 50 Milliarden Euro vor. Man wollte neue eigene Finanzierungsquellen für den EU-Haushalt generieren.
Nach und nach legten mehr EU-Staaten ihr Veto ein. Es blieben zuletzt zehn willige Staaten übrig, die sich auf der Suche nach einem gemeinsamen Modell im Rahmen der europäischen Verstärkten Zusammenarbeit allerdings auch nicht einigen konnten. Mit Österreich drohte ein weiteres Land, sich aus den Verhandlungen zu verabschieden.
Die ÖVP hatte den Mut, der den deutschen Schwesterparteien CDU und CSU fehlte, nämlich den bizarren Vorschlägen von Olaf Scholz ein Ende anzudrohen. Denn auf der Suche nach einem Modell wurde aus der Ursprungsidee der Finanztransaktionssteuer eine reine Aktiensteuer für Kleinanleger. Es sollte nicht mehr umfassend besteuert werden, sondern nur noch der Aktienhandel der Steuer unterliegen.
Für Profis ist das Umgehen der Steuer kein Problem. Sie handeln beispielsweise mit Derivaten, die die Aktie als Basiswert haben. Oder sie investieren in Nebenwerte bzw. in amerikanische Tech-Aktien statt in deutsche Unternehmen. Kleinanleger kaufen für ihre langfristige Geldanlage vor allem das, was sie kennen: Aktien großer bekannter deutscher Unternehmen. Sie wären das Opfer der Finanztransaktionssteuer geworden.
Die Idee einer Finanztransaktionssteuer ist kontraproduktiv und absurd. Die globale Finanzkrise ging nicht vom Handel mit Aktien aus. Die Finanztransaktionssteuer würde in keiner Weise systemische Risiken im Finanzsystem verringern. Noch absurder ist allerdings die Tatsache, dass seit Jahren Energie, Zeit und Ressourcen in das Projekt gesteckt werden.
Die schlechte Nachricht: Dass Olaf Scholz mit seinen Plänen gescheitert ist, ist nicht das Ende der Verhandlungen. Jetzt startet die portugiesische Ratspräsidentschaft einen neuen Versuch, einen Durchbruch zu erzielen. Während man sich in Europa bislang nicht auf eine Finanztransaktionssteuer einigen konnte, sind einzelne Staaten bereits vorgeprescht. So gibt es zum Beispiel in Belgien, Frankreich und Italien unterschiedliche Varianten von nationalen Finanztransaktionssteuern. Darauf will Portugal aufbauen. Die Hoffnung, dass es erneut zu keinem Ergebnis kommt, stirbt aber zum Glück zuletzt. Denn erstens will Portugal gerne wieder alle EU-Staaten mit ins Boot holen, was die Veto-Möglichkeit einzelner Staaten gegen die Steuer erhöht.
Zweitens will Portugal auf den Erfahrungen der Steuermodelle Frankreichs und Italiens aufbauen. Aber genau diese waren schon Grundlage des Modellvorschlags von Scholz, weswegen Österreich nicht mehr mitmachen wollte. Auch Belgien hatte Bedenken, weil es für seine heimische Finanztransaktionssteuer andere steuerliche Reglungen traf, z.B. hinsichtlich der Besteuerung von Anleihen.
Als Randnotiz: Scholz wollte Belgien einfangen, indem er in seinem letzten Vorschlag anbot, dass bestehende Finanztransaktionssteuervarianten fortgeführt werden dürfen. Also ein Nebeneinander unterschiedlichster Ausprägungen der Steuer und damit ein klarer Widerspruch zum Ziel der europäischen Verstärkten Zusammenarbeit. Diese soll nämlich gerade die Unterschiede zwischen den verschiedenen Gesetzgebungen überwinden und eine einheitliche Grundlage schaffen.
Ein dritter Aspekt steigert meine Hoffnung, dass der portugiesische Vorstoß keinen Durchbruch erzielen wird: Es ist weiterhin ungeklärt, wem eigentlich die Einnahmen zustehen. Scholz war unter dem sperrigen Begriff der Mutualisierung bereit, Einnahmen durch die Besteuerung des deutschen Aktienhandels an kleinere Länder abzugeben, nur damit diese weiterhin mitmachen. Übersetzt heißt das: Die Länder sollten eingekauft werden. Auch das sollte man nicht unter den Tisch fallen lassen. Die Finanztransaktionssteuer hat viele Fallstricke, mit denen sich Bürokraten noch Jahrzehnte werden beschäftigen können.
Die Debatte über die Finanztransaktionssteuer hatte ihren Höhepunkt nach der Finanzkrise. Begründet wurde sie damit, dass die Finanzinstitute mit einem angemessenen und substanziellen Beitrag an den Kosten der Krise beteiligt werden sollten. Dabei war sie noch nie eine geeignete Steuer, um für angebliche Gerechtigkeit zu sorgen oder Finanzmarktspekulationen einzudämmen. Selbst wenn bei einem neuen Vorschlag auch Derivate unter die Besteuerung fielen, würden die Kosten der Steuer im Wege der Überwälzung von Kleinanlegern, Sparern oder der Realwirtschaft getragen.
Seit der Finanzkrise ist viel passiert. Mit der Bankenabgabe und mit Zehntausenden von Seiten an neuen Finanzmarktregulierungen beteiligen wir den Finanzsektor an den systemischen Risiken und den Kosten. Wir sind gerade mitten in der Coronakrise. Weshalb man ausgerechnet jetzt den Kapitalmarkt und insbesondere die Eigenkapitalbeschaffung für europäische Unternehmen unattraktiver machen will, ist schlicht nicht mehr erklärbar. Die Finanztransaktionssteuer ist aus der Zeit gefallen.
Wir brauchen eine Politik, die in Zeiten von Niedrigzinsen den Vermögensaufbau der breiten Mittelschicht fördert und Europa zum führenden Kapitalmarkt macht, sodass wir die Zukunftsinvestitionen unserer Firmen finanzieren können. Sofern wir Freie Demokraten im September einen Regierungsauftrag erhalten, werde ich mich dafür einsetzen, dass die neue Bundesregierung der Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene den Stecker zieht und das Projekt endgültig begraben wird.
Sollte die Finanztransaktionssteuer eines Tages doch kommen, gibt es nur einen Steuersatz, der sinnvoll ist: Null.