STARK-WATZINGER-Gastbeitrag: Beteiligung von Frauen ist ein Business-Case
Das FDP-Fraktionsvorstandsmitglied Bettina Stark-Watzinger schrieb für „Focus Online“ den folgenden Gastbeitrag:
Da ist sie wieder – die Frauenquote. Diesmal steht die Forderung von Justizministerin Lambrecht im Raum, Unternehmen eine Mindestzahl von Frauen in den Vorständen rechtlich vorzuschreiben. Die Forderung passt in unsere Zeit. Der Ruf nach einem Staat, der mit Vorschriften und Verboten lenkend in die Gesellschaft und Wirtschaft eingreift, ertönt jeden Tag lauter. Dadurch wird die Quote aber nicht legitimiert.
Die Wirtschaft muss sich allerdings nicht wundern, denn sie trägt ein nicht unerhebliches Maß Mitschuld an der Diskussion. Immer noch sind mehr als 90 Prozent der Vorstandsposten in Deutschland von Männern besetzt.
Seit 2016 müssen zwar alle großen Unternehmen in ihren Jahresberichten sich selbst ein Ziel setzen, um wie viel sie den Anteil an Frauen in der Führung des Unternehmens erhöhen wollen. Leider setzen ganze 70 Prozent der Unternehmen sich das ambitionslose Ziel Null.
Für zu viele Unternehmenslenker ist das Thema Repräsentanz von Frauen im Speziellen und Diversität im Allgemeinen lästig. Sie strengen sich noch nicht einmal an. Das ist falsch, denn nur wer sich Ziele setzt, diese verfolgt und immer wieder hinterfragt, wird damit am Ende auch erfolgreich sein. Dass das geht, zeigt SAP. Gestartet mit hohen Ambitionen, hat es seine eigene Zielmarke nicht nur erreicht, sondern sogar übertroffen. Solch einen Geist brauchen wir in allen Unternehmen.
Wir haben heute die am besten ausgebildeten Frauen, die es jemals gab. Wir haben einen ausgezeichneten Pool an exzellenten Frauen im mittleren Management. Und trotzdem: Die Vorstände der an der Frankfurter Wertpapierbörse notierten Unternehmen haben Monokulturen. Sie kranken am sogenannten "Thomaszyklus": 91 Prozent der Vorstandsmitglieder sind Männer, die sich in Alter, Herkunft und Ausbildung sehr ähnlich sind. Das durchschnittliche Vorstandsmitglied ist Thomas, Jahrgang 1966, in Deutschland ausgebildet als Wirtschaftswissenschaftler oder Ingenieur. Thomas rekrutiert Thomas und nicht nur Thomas, sondern einen Thomas, der ihm sehr ähnlich ist. Das sollten wir ändern!
Als sich der Wandel der Arbeitswelt zu modernen Arbeitsformen andeutete, als das Management weniger hierarchisch wurde, war ich begeistert - so viele Möglichkeiten für Frauen. Doch wenn wir uns heute das Silicon Valley ansehen, wenn wir erfahren, wie wenig Frauen Zugang zu Risikokapital bekommen, wird uns klar: die Chancengleichheit muss immer wieder neu erkämpft werden.
Während zum Beispiel jungen Männern ihr Alter positiv ausgelegt wird („young and promising“/ „jung und vielversprechend“), sehen Investoren es bei Gründerinnen als Schwäche („young but inexperienced“/ „jung, aber unerfahren“) an.
Vorsichtige Gründerinnen werden als „zu wenig waghalsig“ angesehen, bei vorsichtigen Gründern wiederum führt man es auf die Eigenschaften Besonnenheit und Vernunft zurück. Diese wahrscheinlich gar nicht bewusste unterschiedliche Beurteilung von Männern und Frauen kann man nicht durch Gesetze nivellieren. Es muss ein Umdenken erfolgen.
Für die Politik und Wirtschaft sind die Repräsentanz von Frauen und Diversität eine Frage der Chancengleichheit. Sie ist aber auch ein Business Case. Zahlreiche Studien belegen: Unternehmen, die einen hohen Anteil von Frauen in Führungspositionen haben, sind erfolgreicher. Sie sind innovativer und erschließen sich damit neue Einnahmequellen. Ein Anstieg der Beschäftigungsquote von Frauen in den OECD-Ländern auf das schwedische Niveau von fast 75 Prozent würde das Bruttoinlandsprodukt um mehr als sechs Billionen US-Dollar steigern.
Was könnte mit dem Geld gemacht werden! Schaffen wir die moderne Arbeitswelt Schwedens, damit Frauen Beruf und Familie vereinbaren können. Überwinden wir endlich die abendliche Präsenzkultur und setzen uns für Führen in Teilzeit ein. Wir können dabei die Verantwortung nicht auf Gesetze übertragen. Wir haben momentan viele Gesetze, die aber leider ihre Aufgabe nicht erfüllen.
Wir alle treffen jeden Tag Entscheidungen. Wir haben es in der Hand, dass sich etwas ändert.
Ich lehne die Quote ab – nicht, weil Frauen als „Quotenfrauen“ abgestempelt werden. Sie löst schlicht die viel tiefer liegenden Probleme nicht. Viel zu oft herrscht bei Männern immer noch das Verständnis vor, sie müssten Frauen etwas geben. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat in seiner Rede zum 100-jährigen Frauenwahlrecht im Bundestag im letzten Jahr gesagt: „Nicht die Männer haben den Frauen das Wahlrecht gegeben, die Frauen haben es sich genommen.“
Wir müssen uns bewusst werden, dass das Arbeitsumfeld immer noch männlich geprägt ist. Nachts an der Bar werden wichtige Entscheidungen getroffen. Frauen bevorzugen diese ausgeschlafen tagsüber zu treffen. Männer haben kein Problem, sich in Diskussionsrunden zu melden und die Argumente der zehn Vorredner zu wiederholen. Frauen dagegen schon.
Es geht übrigens nicht um Schuldzuweisungen. Falsch wäre es, einseitig die Männer zum Umdenken aufzufordern. Auch wir Frauen müssen tätig werden. Solange wir immer noch lieber halbtags arbeiten, bereitwillig mehr Hausarbeit übernehmen oder andere Frauen nicht unterstützen, werden wir nicht vorankommen. Vielleicht bekommen wir eine Quote, aber keine nachhaltige Chancengleichheit.
Statt mehr Gesetzen brauchen wir endlich eine Kultur der Aufmerksamkeit für die tief verwurzelte unbewusste Voreingenommenheit (unconscious bias) in der Gesellschaft. Denn nur was ich kenne, kann ich ändern. Diese grundlegende Erkenntnis kann dann mit klaren, ehrgeizigen Zielsetzungen flankiert werden, damit das Thema Diversität den Stellenwert bekommt, den es verdient.
Mich treibt der Spruch von Simone de Beauvoir an, die sagte: „Es gibt einen besonderen Platz in der Hölle für Frauen, die anderen Frauen nicht helfen.“ Ich bin mir sicher, der Satz gilt auch für Männer.