Christian Lindner
Pressemitteilung

LINDNER/DOMSCHEIT-BERG-Streitgespräch: Die Datensammler sind gefährlich

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Lindner und die netzpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke Anke Domscheit-Berg im Streitgespräch für die „Berliner Zeitung“ (Freitagsausgabe). Die Fragen stellten Tanja Brandes und Gabriela Keller:

Frage: Frau Domscheit-Berg, Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel „Mauern einreißen“. Welche Mauern sehen Sie heute, 30 Jahre nach der deutschen Wende, noch?

Domscheit-Berg: Es gibt schon noch viele. In meinem Buch habe ich von drei Mauern gesprochen: Bei der ersten ging es um die Berliner Mauer und Biografisches, weil ich damals als Studentin viel Tagebuch geschrieben habe und selbst in der Opposition aktiv war. Als zweite beschrieb ich die gläserne Decke als eine Art virtuelle Mauer, die es Frauen schwerer macht, Spitzenpositionen zu erreichen. Die dritte Mauer sah ich zwischen Staat und Bürgern, also, gesprochen aus der Selbstwahrnehmung der Bevölkerung, zwischen „denen da oben“ und „denen da unten“.

Frage: Woher kommt diese Wahrnehmung?

Domscheit-Berg: Ich glaube, dass das vor allem daran liegt, dass wir von beiden Seiten ein großes Misstrauen haben. Der Staat hat Misstrauen gegenüber der Bevölkerung und will Bürgerrechte im digitalen Zeitalter einschränken. Weil wir in den Augen des Staates alle potenzielle Raubkopierer, Kinderpornografie-Verbreiter oder Terroristen sind, will man uns massenhaft überwachen. Auch in der Bevölkerung herrscht Misstrauen. Das speist sich vor allem aus der Intransparenz. Was man nicht weiß, füllt man aus mit Vorurteilen. Wir haben immer noch kein Lobbyregister, keinen legislativen Fußabdruck und wissen nicht, wessen Gutachten sich am Ende in welchem Gesetz materialisieren.

Frage: Welche Mauern sehen Sie, Herr Lindner?

Lindner: Hinsichtlich der Frage der Transparenz des Staates und der politischen Einflussnahme haben wir gar keinen Dissens. Ich stimme auch zu, dass das Verhältnis zwischen Bürger und Staat von staatlicher Seite sehr einseitig negativ geprägt ist. Ich würde die Liste aber noch ausweiten: Wir sind auch potenzielle Betrüger, Ausbeuter, Miethaie. Wie viel günstiger und realistischer wäre es, davon auszugehen, dass die Menschen vernunftbegabte Persönlichkeiten sind, mit Urteilsvermögen und Verantwortungsgefühl.

Domscheit-Berg: Wir haben heute noch ganz viele andere Mauern. Wir haben soziale Schranken zwischen den Ärmeren und den Reicheren, wir haben aber auch immer noch eine Mauer da, wo die Mauer nicht mehr steht. Da kann man sich fast jede beliebige Statistik anschauen, wenn die nach Farben sortiert ist, dann weiß man sofort, wo mal die Mauer war.

Frage: Woran liegt es, dass wir immer noch nicht sagen können: Wir sind eins?

Domscheit-Berg: Kulturelle Prägung verschwindet ja nicht über Nacht. Nehmen wir das Beispiel berufstätige Mütter. Zehn Jahre nach dem Mauerfall gab es in Berlin eine Konferenz zum Thema Geschlechterverhältnis in Ost und West, wo sich Wissenschaftler extrem überrascht zu der Tatsache äußerten, dass die Erwerbsneigung der ostdeutschen Frauen nach wie vor ungebrochen war. Sie konnten nicht verstehen, warum die „Anpassung an das Normverhalten“ – damit war die Westfrau gemeint – so lange dauert. Die Schlussfolgerung war, dass es noch etwa fünf Jahre länger dauern würde. Was – wie sich herausstellte – auch nicht eintrat.

Lindner: Inzwischen kann man die Unterschiede aber nicht mehr nur an den Himmelsrichtungen festmachen, sondern es sind unterschiedliche Milieus, die auseinanderstreben.

Domscheit-Berg: Stadt und Land, zum Beispiel.

Lindner: Mein Eindruck ist: In paradoxer Gleichzeitigkeit erwartet man im Osten sehr viel öffentliche Leistungen und soziale Absicherung, und gleichzeitig gibt es eine große Skepsis gegenüber dem Staat selbst und Eliten – zum Beispiel in der Migrationsfrage. Und weil Sie das Verhältnis Stadt-Land angesprochen haben – es gibt in jedem Fall eine Milieuunterscheidung, die massiv zunimmt. Der Soziologe Helmut Schelsky sprach mit Blick auf Deutschland Alt-West ja von einer „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“. Die haben wir nicht mehr.

Frage: In welcher Hinsicht?

Lindner: Ich beziehe das nicht aufs Einkommen, sondern auf Lebensstil und Werte. Die einen leben in der Shared-Economy, ernähren sich vegan und nachhaltig, machen lieber Backpacker-Urlaub, als sich neue Fernseher zu kaufen. Auf der anderen Seite stehen Leute, die ihre Bratwurst lieben und Diesel fahren müssen.

Frage: Wer muss denn Diesel fahren?

Lindner: Jemand, der im ländlichen Raum lebt, jeden Tag 50 Kilometer zu seiner Arbeitsstelle fahren muss, und nicht das Geld hat, sich ein neues Auto zu kaufen. Der muss.

Domscheit-Berg: Ich würde gern auf das Elitenthema zurückkommen. Ich nehme die Skepsis auch wahr, habe dafür aber eine ganz natürliche Erklärung. Man kann heute, nach 30 Jahren, niemandem mehr erklären, warum bundesweit nur 1,7 Prozent Ostdeutsche in den Spitzenpositionen sind. Kein einziger Bundesrichter ist ostdeutsch. Keine einzige Universität wird von einem Ostdeutschen geleitet. Es gibt kaum ostdeutsche Staatssekretäre, in Wirtschaft und Wissenschaft ist der Anteil verschwindend gering. Wenn man sowas mitbekommt, dann hat man natürlich ein Problem mit Eliten.

Frage: Es sind aber nicht die Arbeitslosen und Abgehängten, die AfD wählen, sondern vor allem Männer mittleren Alters mit Durchschnittseinkommen.

Lindner: Deshalb verkürzt es die Konfliktlage, wenn man glaubt, man müsse auf die AfD im Feld ökonomischer und sozialer Politik antworten. Es war ja nicht der Pflegenotstand, der die AfD groß gemacht hat. Es sind kulturelle Konflikte. Die Frage der sich verändernden Geschlechterrollen, die Frage der Pluralität durch Migration, Multikulturalität, Multireligiosität …

Domscheit-Berg: … die man im Osten ja aber fast gar nicht hat.

Lindner: Deshalb sind die Verlustängste größer. Dazu kommt die Frage eines fundamentalen Wandels in der Wirtschaft, erst wird in der Lausitz der Braunkohleabbau abgebaut, und gleichzeitig zeigt der Blick nach Polen, dass man da munter weiter auf Braunkohle setzt. Jemand, der betroffen ist, denkt: Da verschwindet mein Arbeitsplatz aufgrund von Entscheidungen von Politikern in Berlin, die sich von einer allgemeinen Klimaangst treiben lassen. Und dann haben manche aus kulturellen oder materiellen Verlustängsten heraus das Gefühl, sie müssten AfD wählen. Ich sage nicht, dass diese Ängste richtig sind, aber sie sind nun mal da. Und wir müssen darauf antworten.

Domscheit-Berg: Es ist richtig, den Aufschwung der AfD in Ostdeutschland nicht hauptsächlich damit zu erklären, was in den 30 Jahren nach der Wende passiert ist. Wir haben international eine Bewegung in Richtung Neofaschismus. Diese Agenda bedient die AfD, was besonders erfolgreich ist, weil sie an tatsächliche Missstände andocken kann. Aber der eigentliche Grund ist ein Abrücken von der Demokratie bis hin zu „Lügenpresse“-Slogans. Auch Zukunftsangst spielt eine Rolle. Sie hat in Ostdeutschland eine besondere Komponente, gerade in Bezug auf den Wandel der Arbeitswelt.

Frage: Können Sie das näher erklären?

Domscheit-Berg: Was die Zukunft der Arbeit angeht, haben wir zwei Erzählstränge. Der eine ist: Alles wird furchtbar, es wird Millionen von Arbeitslosen geben. Dem gegenüber steht – das höre ich häufiger aus Ihrer Parteienfamilie, Herr Lindner, – es entstehen ganz viele neue Jobs. Wir haben einmal schwarz und einmal weiß. Was glaubt ein Ossi, der exakt so eine Geschichte am eigenen Leibe erfahren hat, wohl eher? In kürzester Zeit hatten nach der Wende 80 Prozent der ostdeutschen Erwerbstätigen ihre Arbeit verloren. Einige haben wieder Arbeit gefunden. Aber 1,5 Millionen Jobs sind verschwunden. Das macht es der AfD leicht, weil sie an diese Verlusterfahrung andocken kann.

Lindner: Wenn Ihr Argument zutreffend wäre, müsste doch die Linkspartei besonders stark sein – eine Partei, die ostdeutsche Biografien und deren Brüche reflektiert, zum Teil Ostalgie kultiviert – und die auf Solidarität und Sozialstaatlichkeit setzt. Die AfD ist das Gegenteil: Da kommen Männer aus dem Westen und erzählen, dass man die Rente an ein an der Schweiz orientiertes privates Modell anlehnen müsste. Ich möchte schon bei meiner These bleiben, dass es vor allem kulturelle und identitäre Fragen sind, die da eine Rolle spielen. In einem Punkt kommen wir vielleicht zusammen: Es steht auch heute in Ostdeutschland hinsichtlich der Wirtschaftsstruktur noch nicht alles zum Besten. Wir müssen für die nächsten 30 Jahre überlegen: Was tun wir, damit Ostdeutschland eine faire Chance hat, aufzuschließen? Meine Empfehlung wäre: Machen wir es doch mal anders als in den letzten 30 Jahren!

Frage: Sie treten beide für Bürgerrechte im Netz ein. Bei der FDP scheint das aber ein eher drittrangiges Thema zu sein. Es ist nichts, mit dem Sie, Herr Lindner, sich zu profilieren versuchen.

Lindner: Wir haben schon vor einigen Jahren die Frage aufgeworfen, welches Ordnungsrecht das Internet braucht. Das Thema hat hohe Priorität bei uns, und ich darf Sie fragen: Wer hat die Googles und Apples beim Steuerdumping in Europa in die Schranken gewiesen und beim Missbrauch von Marktmacht?

Domscheit-Berg: Bis jetzt noch niemand.

Lindner: … das war Margrethe Vestager, unsere Parteifreundin in Brüssel. Ich glaube auch, dass das Problem heute viel komplexer ist. Im digitalen Zeitalter brauchen wir nicht nur Abwehrrechte gegen den Staat, sondern auch gegen kommerzielle Datensammler. Ich gehe so weit zu sagen, dass die Datensammler des Silicon-Valley-Plattform-Kapitalismus sowohl für die Privatsphäre und die informationelle Selbstbestimmung als auch für die Deformation des Wettbewerbs in der Marktwirtschaft gefährlicher sind als Bürokratismus und Obrigkeitsstaat.

Frage: Das hört sich ja jetzt schon fast wie eine linke Position an …

Domscheit-Berg: Ich wollte gerade sagen: Das hätte eins zu eins von mir kommen können. Ich weiß aber nicht, ob die Fortsetzung, die ich jetzt dranhänge, auch von Ihnen hätte kommen können.

Lindner: Probieren Sie’s!

Domscheit-Berg: Für mich heißt das: Diese Monopole sind so groß geworden, dass sie ihre Marktmacht missbrauchen. Deswegen muss man sie zerschlagen. Das Mindeste, was man tun muss, ist das wieder herauszunehmen, was sie gerade aufgefressen haben – WhatsApp und Instagram in Falle von Facebook etwa. Gleichzeitig müssten die Daten, die nicht personenbezogen sind, vergesellschaftet werden und als Big Data auch anderen zur Verfügung stehen und damit Marktchancen für kleine und mittlere Unternehmen eröffnen. Man sollte versuchen, die extreme Konzentration globaler Marktmacht aufzubrechen.

Frage: Und wie würden Sie mit den Sozialen Netzwerken umgehen?

Domscheit-Berg: Der Mensch in der digitalen Gesellschaft braucht Vernetzung. Deshalb brauchen wir ein soziales Netz als Infrastruktur. Das muss man aber vom Geldverdienen abkoppeln, weil es sonst zu Fehlentwicklungen kommt: Heute maximiert der Algorithmus die Werbeeinnahmen – und da folgen Polarisierung und Hass bis hin zum Totschlag. Daher würde ich mir eine Art öffentlich-rechtliches soziales Netzwerk wünschen, ein Gemeinwohl-orientiertes soziales Netzwerk, das organisiert sein könnte wie Wikipedia, transparent, nachvollziehbar, jeder kann mitreden, aber es dient keinem Profit.

Lindner: Also, das Gegeneinanderstellen von gewinnorientiertem und gemeinwohlorientiertem Wirtschaften mache ich prinzipiell nicht mit. Es war keine genossenschaftliche Organisation, die die Innovationen im Digitalbereich vorangebracht hat. Sondern es war der gute, alte Kapitalismus.

Domscheit-Berg: Was ist mit Wikipedia?

Lindner: Das ist das nahezu einzige Beispiel. Es bringt uns nicht weiter, in diese uralten Grundsatzdebatten einzutreten. Worin wir übereinstimmen, ist doch, dass niemand mehr Macht über unser Leben und unsere Daten haben sollte, als wir selbst. Deshalb müssen wir wissen: Welche Daten haben andere von uns und was machen sie damit? Darauf muss man Einfluss nehmen können. Das Zweite ist: Es muss faire Marktchancen geben. Die Amazons, die Googles können selbstherrlich über Chancen von Außenseitern und Newcomern entscheiden. Bis zu dem Punkt, an dem geistiges Eigentum etwa im Journalismus quasi enteignet wird. Man kann sich nicht aus der Verwertungslogik herauslösen, denn wenn man bei Google-News nicht auftaucht, ist man als Medium ja quasi tot.

Domscheit-Berg: Weshalb ja auch das Leistungsschutzrecht keinen Sinn ergibt …

Lindner: Ich finde, dass wir bei Fusionen das Wettbewerbs- und Kartellrecht schärfen müssen. Dabei muss es auch um die Datenmacht gehen. Es muss die Möglichkeit geben, von einem sozialen Netzwerk mit seinen Daten in ein anderes zu wechseln.

Domscheit-Berg: Das reicht aber nicht! Ich muss mich mit Menschen in unterschiedlichen Netzwerken gleichzeitig vernetzen können.

Lindner: Da will ich gar nicht sofort nein sagen. Aber Sie haben ja eine Zerschlagung gefordert. Da bin ich noch nicht bei Ihnen. Ich halte mich da an das, was etwa der Chef des Kartellamts sagt: Der ja fordert, man müsse seiner Behörde im digitalen Zeitalter rechtlich mehr Möglichkeiten geben. Die Zerschlagung ist ein Instrument, das man nicht pauschal einsetzen kann, sondern nur, wenn alle anderen Mittel nicht zum Erfolg geführt haben. Lassen Sie uns doch damit beginnen, dass wir die Möglichkeit überhaupt ins Gesetz schreiben. Dann können wir schauen, ob wir dieses scharfe Schwert nutzen müssen.

Frage: Sie beide sind auch Befürworter der Freiheit im Netz. Wo endet denn diese Freiheit? Gibt es für Sie Grenzen?

Domscheit-Berg: Ich finde nicht, dass wir neue Gesetze brauchen. Wir haben die Gesetze! Wir wenden sie nur oft nicht an. Damit meine ich zum Beispiel Beleidigungen, Bedrohungen, Volksverhetzungen – das passiert im Netz massenhaft und wird fast nicht verfolgt. Ein Beispiel ist das Urteil im Zusammenhang mit Renate Künast, die übelste Beleidigungen einfach hinnehmen soll. Das war ein Fall, wo mir alle Worte fehlen. Ich kriege so was auch ab. Als Frau, die politisch aktiv ist – damit lockt man offenbar schwarze Schafe aus finstersten Ecken hervor.

Frage: Wie gehen Sie damit um?

Domscheit-Berg: Ich zeige das an, aber das kommt nicht mal vor Gericht. Mein Eindruck ist, dass man Verantwortung delegiert, weg vom Staat und einfach sagt: Hier Facebook, lösch das mal. Aber dann ist die Volksverhetzung nicht bestraft. Und alle, die es gesehen haben, denken, es ist okay. Wir müssen die Gesetze besser anwenden. Das heißt auch, dass wir die Polizei besser ausbilden müssen. Mir ist es wirklich passiert, dass ich wegen Hatespeech eine Anzeige bei der Polizei gemacht habe und dort gefragt wurde, ob Twitter und Facebook das gleiche sind.

Frage: Im Fall von Künast hat das Gericht entschieden, dass „Drecksfotze“ keine Beleidigung sei. Das heißt, das Gesetz wurde angewandt …

Domscheit-Berg: Das war ein Fehlurteil, und es hat ein fatales Signal gesendet an alle, die Hatespeech verbreiten. Das Problem ist, dass Gewalt ein Kontinuum ist. Es fängt mit verbaler Gewalt an und irgendwo am Ende wird einem Walter Lübcke in den Kopf geschossen. Das ist hundertmal schlimmer, als wenn jemand illegal einen Song von Lady Gaga runterlädt. Aber wir kriminalisieren das eine und das andere lassen wir einfach laufen.

Lindner: Wir stimmen darin überein, dass Hatespeech und Gewalt in einer demokratischen Gesellschaft nichts zu suchen haben. Egal, aus welcher Ecke: Rechte Hatespeech ist genauso zu verurteilen, wie etwa die Verhinderung von Auftritten von Thomas de Maiziere, die Morde von rechts sind genauso zu verurteilen wie der Terror der RAF.

Domscheit-Berg: Ich würde mich freuen, wenn wir nicht wieder anfangen, die RAF von vor 30 Jahren mit rechtsextremer Gewalt von heute zu vergleichen. Diese pauschale Gleichsetzung von rechts und links halte ich für gefährlich.

Lindner: Ich will auf den Punkt hinaus, dass wir 360-Grad-Perspektiven haben müssen. In Richtung von links und von rechts. Ich finde, wir müssen überall hinschauen. Ich glaube aber tatsächlich, dass sich die Sicherheitsbehörden in den letzten Jahren sehr auf den Bereich der islamistischen Bedrohung konzentriert haben, und dass Gewalt von rechts nicht hinreichend erfasst worden ist. Das muss sich verändern. Ich glaube, die Sicherheitsbehörden müssen insgesamt handlungsfähiger werden. 16 Landesämter für den Verfassungsschutz halte ich zum Beispiel für zu viel.

Domscheit-Berg: Ich würde den Verfassungsschutz ja ganz abschaffen. Der richtet mehr Schaden an, als er nützt.

Lindner: Nach dem Anschlag von Halle halte ich es für falsch, Strukturprobleme dadurch zu lösen, dass man die Behörde gleich ganz abschafft. In bestimmte dunkle Ecken müssen die Nachrichtendienste hineinschauen können – im Sinne der frühen Aufklärung, wie sie es ja in der rechten und islamistischen Szene schon machen, muss das auch in Online-Medien erfolgen.

Domscheit-Berg: Aber bitte anlassbezogen!

Lindner: Natürlich darf es keine pauschale Verdächtigung geben.

Frage: Wie stellen Sie sich Deutschland im Jahr 2029 vor?

Lindner: Ich hoffe, wir sind ein Land, das seine Weltoffenheit behält, das Respekt hat vor den individuellen Wahlentscheidungen der Menschen, ihnen also viel Liberalität garantiert und dass wir unsere wirtschaftlichen Grundlagen erhalten in einer Zeit des Wandels in der Technik und auf der Weltbühne.

Domscheit-Berg: 2029 wird Deutschland hoffentlich eine Strategie haben, wie wir mit dem Wandel durch die digitalisierte Gesellschaft umgehen. Es sollte Ideen dafür geben, wie wir die sozialen Sicherungssysteme fit machen für die Zukunft, auch wenn Roboter und Software viele Jobs übernommen haben. Und wir sollten endlich ein offenes, lebenslanges, barrierefreies Bildungssystem haben.

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