LINDNER-Interview: Unsere politische Kultur wird bedroht
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Lindner gab der „Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen“ (Donnerstagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Daniel Göbel:
Frage: Herr Lindner, Sie haben schon häufig während Veranstaltungen an Universitäten gesprochen. Sind Sie dabei schon mal mit einer Absage wie jetzt an der Uni Hamburg konfrontiert gewesen?
Lindner: Ich habe an Dutzenden Veranstaltungen dieser Art an Hochschulen im gesamten Bundesgebiet teilgenommen. Es hat vereinzelt einmal Probleme gegeben. So wie jetzt in Hamburg ist mir aber kein vergleichbarer Fall in Erinnerung. Denn in Hamburg ist das Eklatante, dass eine Veranstaltung mit der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht genehmigt wird, aber der liberalen Hochschulgruppe eine Veranstaltung mit mir untersagt wird.
Frage: Die Universität hat erklärt, dass Sahra Wagenknecht dort auftreten dürfe, weil sie einen wissenschaftlichen Vortrag halte. Können Sie diese Begründung nachvollziehen?
Lindner: Nein. Wenn das die Begründung ist, dann halte ich auch gern einen wissenschaftlichen Vortrag. Thema könnte sein, „Der politikwissenschaftliche Forschungsstand von Links- und Rechtspopulismus in Deutschland und Europa“, oder „Die Auswirkungen der Meinungsvielfalt auf die Stabilität der liberalen Demokratie“. Wenn es um einen anderen Charakter der Veranstaltung geht, dann jederzeit gerne.
Frage: Warum halten Sie es für so wichtig, dass auch Politiker an Hochschulen sprechen dürfen?
Lindner: An einer Hochschule geht es nicht nur tun wissenschaftliche Qualifikation, sondern auch um gesellschaftliches Engagement, um das Werben für die Demokratie und um eine kritische Auseinandersetzung der Gegenwart. Deshalb nehme ich sehr gerne Einladungen unserer liberalen Hochschulgruppen an. Die organisierte Studierendenschaft hat ja ausdrücklich ein allgemeinpolitisches Mandat. Wenn man das in dieser Art beibehalten will, dann muss natürlich eine politische Betätigung an der Hochschule möglich sein. Mein Eindruck ist, dieses Engagement ist dann besonders gewünscht, wenn Meinungen links der Mitte geäußert werden. Aber zur Meinungsvielfalt gehören auch Meinungen, die wie in meinem Fall aus der Mitte kommen.
Frage: Sie haben in Ihrem Offenen Brief auch Bezug auf den Fall Lucke genommen und Hamburgs Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) vorgeworfen, sich nicht eindeutig zu positionieren. Halten Sie politische Gründe dabei für ausschlaggebend?
Lindner: Ja, das halte ich für möglich. An der Uni Hamburg tritt, wie gesagt, Frau Wagenknecht auf, linksradikale Umweltaktivisten von Extinction Rebellion können in der Hochschule für ihre politischen Ziele Werbung machen. Auf der anderen Seite gibt es kein klares Bekenntnis zur Wissenschafts- und Meinungsfreiheit im Falle eines Bernd Lucke. Ich bin entschieden anderer Meinung gewesen als Herr Lucke zu seiner Zeit in der Politik. Ich habe auch Zweifel an manch seiner Thesen aus der volkswirtschaftlichen Perspektive. Aber ich würde mich immer dafür einsetzen, dass zum Beispiel Toni Hofreiter von den Grünen, oder ein Professor Bernd Lucke, seine Auffassungen ungestört vortragen darf. Nachdem die Meinungen gesagt worden sind, kann man ja immer noch argumentativ widersprechen. Mundtod gemacht werden darf aber niemand in unserer Demokratie, sofern er einen Bogen um Hetze macht.
Frage: Man hat das Gefühl, dass ein normaler Meinungsaustausch kaum mehr stattfindet. Was sind die Gründe dafür?
Lindner: Ich bin besorgt über das gesellschaftliche Klima in Deutschland insgesamt. An Hochschulen erlebt man vielleicht gegenwärtig eine besondere Zuspitzung. Wir haben auf der einen Seite die enorme Verrohung durch die AfD, die bewusst verletzende Rhetorik verwendet und die mit immer schärferen Tabubrüchen und Pauschalurteilen über einzelne Gruppen Aufmerksamkeit erregt. Auf der anderen Seite gibt es viele Aktivisten von links, die andere niederbrüllen. Aus der Klimabewegung gibt es auch Aktivisten, die schon Veranstaltungen von mir an Hochschulen zumindest zeitweilig gestört haben. Als ich sie dann aufgefordert habe, ihre Meinung zu sagen, aber nicht zu stören, haben die Aktivisten den Saal verlassen. Sie wollten keinen Dialog und Austausch, weil es ihnen nur ums Stören geht. Das ist eine Gefährdung der Demokratie. Unsere politische Kultur wird nicht nur von rechts gefährdet, sondern auch von links.
Frage: Haben Linke an deutschen Hochschulen die Meinungshoheit?
Lindner: Dazu kann ich kein Urteil abgeben. Ich glaube, das ist auch von Universität zu Universität unterschiedlich. Mir geht es darum, dass demokratische Meinungen geäußert werden können. Dabei muss ich mich auch mit Meinungen auseinandersetzen, die ich nicht teile.
Frage: Zählt die AfD für Sie auch zum demokratischen Spektrum?
Lindner: Die AfD hat ihren Charakter für jeden unübersehbar bestätigt. Es gibt keine klare Grenzziehung zum Rechtsextremismus. Es wird mit Nazi-Rhetorik gespielt. Daher hat sich die AfD selbst aus dem demokratischen Spektrum manövriert.
Frage: Die Störer an der Uni Hamburg geben dem einstigen AfD-Gründer Bernd Lucke eine Mitschuld daran. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
Lindner: Die Kritik kann ich nachvollziehen. Er war naiv im Umgang mit Parteimitgliedern wie Björn Hocke. Sie ist aber keine Rechtfertigung dafür, die Meinungsfreiheit einzuschränken.