LINDNER-Gastbeitrag: Für ein Comeback der Angebotspolitik
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Lindner schrieb für das „Handelsblatt“ (Freitagsausgabe) den folgenden Gastbeitrag:
Die Coronakrise hat gezeigt: Die Sehnsucht nach der starken Hand von Vater Staat ist groß. Doch wir dürfen uns an den Ausnahmezustand als Norm nicht gewöhnen. Das gilt für die Einschränkung von Bürgerrechten, das gilt aber auch für übermäßige Eingriffe in das Wirtschaftsleben. Politische Verantwortung bedeutet, den Normalzustand so bald wie möglich wiederherzustellen. Sie bedeutet nicht, den Ausnahmezustand zu normalisieren.
Gesellschaftliche und wirtschaftliche Freiheit sind zwei Seiten einer Medaille. Diesen Zusammenhang hat Walter Eucken, Begründer der „Freiburger Schule“ und einer der Väter der Sozialen Marktwirtschaft, einmal als „Interdependenz der Ordnungen“ bezeichnet. Er meint damit: Es kann keine offene Gesellschaft ohne freie Wirtschaft geben und keine freie Wirtschaft ohne offene Gesellschaft. Die Bereitschaft, persönliche Freiheitsrechte einzuschränken, korrespondiert leider allzu oft mit der Versuchung, politisch tiefgreifend und dauerhaft in unsere Wirtschaftsordnung einzugreifen. Davor müssen wir uns hüten.
Die Erfahrung der Vergangenheit zeigt: Nicht jeder staatliche Eingriff wird zurückgenommen, wenn er nicht mehr notwendig ist. Kurzfristig war es richtig, jenen zu helfen, die völlig unverschuldet im Zuge der Coronakrise in Schwierigkeiten geraten waren. Jetzt aber geht es um den Rückbau staatlicher Eingriffe in die Wirtschaft. Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer.
Schon vor Corona hat der Staatskonsum Investitionen und Entlastungsmöglichkeiten zu sehr verdrängt. Für die Zukunft muss es jetzt darum gehen, Bürgern und Unternehmen auch wirtschaftlich wieder mehr Bewegungsfreiheit zu ermöglichen. Wir müssen die Zäsur der Pandemie nutzen, um unsere Wirtschaft flexibler und mit weniger Reibungsverlusten neu aufzustellen. Wir müssen Kurs nehmen auf ein sich selbst tragendes Wirtschaftswachstum.
Eine nachfrageorientierte Politik wird nicht in der Lage sein, die Folgen der Krise nachhaltig zu bewältigen. Sie setzt nicht die richtigen Anreize, sie wirkt nicht treffsicher genug und bietet zu wenig Raum für Innovation. Wir brauchen ein Comeback der Angebotspolitik.
1. Schon vor der Krise haben wir der globalen Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl sie viele Millionen Arbeitsplätze sichert. Mit einem engagierten Restrukturierungsplan der Staatsausgaben müssen wir die Wirtschaft langfristig auf Wachstumskurs führen. Wir brauchen einen echten Entfesselungspakt für wirtschaftliches Wachstum – von einem beherzten Bürokratieabbau bis hin zu finanzieller Entlastung.
Für jede neue Belastung durch geplante Regelungen sollten gerade jetzt im doppelten Umfang Belastungen abgebaut werden. Bei Genehmigungsverfahren müssen wir schneller werden. Zuletzt hat zum Beispiel der Elektroautobauer Tesla zu Recht die lange Dauer solcher Verfahren für Industrieprojekte in Deutschland kritisiert.
2. Die letzte Unternehmensteuerreform liegt mehr als zehn Jahre zurück. Heute noch sind wir eines der Länder mit den höchsten Unternehmensteuern weltweit. Ein Comeback kann nur gelingen, indem Deutschland zum Vorbild für eine moderne Unternehmensbesteuerung wird. Wir müssen die steuerliche Belastung von Unternehmen auf den OECD-Durchschnitt von rund 25 Prozent senken.
Weil hier ein Schlüssel für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft liegt, muss außerdem die Gesamtbreite der Unternehmensteuer auf den Prüfstand: Ertragsteuern, Verbrauchsteuern und Substanzsteuern müssen konsequent auf die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit getrimmt werden. Außerdem müssen die Rahmenbedingungen für die Bereitstellung von Wagniskapital im Steuerrecht endlich verbessert werden, um bei Forschung, Entwicklung und Innovation voranzukommen.
3. Viele vormals gesunde Unternehmen haben sich durch die Pandemie massiv verschuldet. Die Gefahr einer Pleitewelle ist längst nicht gebannt. Es ist höchste Zeit für ein Krafttraining zur Stärkung der Wirtschaft. Noch mehr Fremdkapital ist dabei nicht wirklich die beste Lösung. Stattdessen muss das Eigenkapital abgesichert und gestärkt werden.
Der Staat sollte bei Sanierungskapitalerhöhungen unter bestimmten Voraussetzungen auf die Kapitalertragsteuer verzichten. Die Ausweitung des Verlustrücktrags würde außerdem gerade diejenigen Unternehmen stärken, die vor der Krise über ein funktionierendes Geschäftsmodell verfügten. In einem zweiten Schritt könnte auch eine Verlustverrechnung mit Gewinnen vergangener oder künftiger Jahre eingeführt werden.
4. Unser soziales Sicherungssystem muss dynamischer werden. Die Abgabenbelastung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber muss wieder auf unter 40 Prozent sinken. Auch müssen wir verhindern, dass Selbstständige die falschen Lehren aus der Krise ziehen. Der Mut, auf eigenen Beinen zu stehen, wurde in den vergangenen Monaten für viele nicht belohnt. Es darf keine verlorene Generation entstehen, die sich vom Gedanken an Selbstständigkeit und Unternehmergeist langfristig verabschieden wird.
Deshalb brauchen wir eine umfassende Reform des sogenannten Statusfeststellungsverfahrens, maximale Wahlfreiheit für Selbstständige bei ihrer Altersvorsorge und Anpassungen in der Kranken- und Arbeitslosenversicherung zugunsten von Selbstständigen. Nachdenken sollten wir auch über eine bessere Gründungsförderung – gerade weil es leider Insolvenzen geben wird, sind wir auf neue Impulse beim Gründen angewiesen.
5. Und nicht zuletzt gilt: Die Coronakrise hat gezeigt, wie wichtig funktionierende internationale Märkte sind. Deutschland ist bislang auch deshalb vergleichsweise gut durch die Krise gekommen, weil wir ein exportstarkes Land sind. Doch unser Erfolg auf den Weltmärkten ist kein Selbstläufer. Wir müssen gerade jetzt neue Kraftanstrengungen unternehmen, um den internationalen Handel zu stärken.
Hierfür muss Deutschland endlich das umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada (CETA) ratifizieren. Die Verhandlungen zum Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) müssen wieder aufgenommen werden. Mit Schwellen- und Entwicklungsländern müssen wir bestehende Handelsbarrieren abbauen und neue Modelle für wirtschaftliche Zusammenarbeit entwickeln.
Staatliche Eingriffe schwächen die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft eines Landes. Außerdem wächst mit staatlicher Regulierung die Marktmacht einzelner Unternehmen, was zu weniger Innovation und höheren Preisen für die Konsumenten führt. Stärken wir also Wachstum und Wettbewerb – führen wir den Staat auf die Aufgaben zurück, für die er wirklich gebraucht wird. Dann muss uns für die Zeit nach Corona nicht angst und bange sein.