Stellv. Fraktionsvorsitzender

Zuständig für „Freiheit und Menschenrechte weltweit“: Auswärtiges, Angelegenheiten der Europäischen Union, Menschenrechte und humanitäre Hilfe, Verteidigung, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

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Alexander Graf Lambsdorff
Pressemitteilung

LAMBSDORFF-Interview: Wir brauchen schnellstmöglich Klarheit

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab dem „RBB Inforadio“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Martin Krebbers:

Frage: Ist das nun Drohgebärde oder steht das Abkommen vor dem Aus?

Lambsdorff: Ich bin nicht sicher, ob das Abkommen schon vor dem Aus steht. Auch die Türkei profitiert ja davon. Es gibt ja auch große finanzielle Zusagen. Es gibt die Zusage seitens der Europäischen Union, der Türkei für jeden, der von den griechischen Inseln in die Türkei zurück geführt wird, einen syrischen Flüchtling nach Europa zu bringen. Also mit anderen Worten: Die Türkei hat durchaus etwas von dem Abkommen. Aber die Achillesferse war von Anfang an die Frage der Visafreiheit. Hier sind Zusagen gemacht worden von der europäischen Seite gegenüber der Türkei, die so in der Form gar nicht eingehalten werden konnten. Denn – und das haben wir gerade im Bericht des Korrespondenten gehört – die Voraussetzungen sind zwingend erforderlich, um Visumsfreiheit zu gewähren und die sind einfach nach wie vor nicht erfüllt.

Frage: Das heißt, die EU ist nicht wortbrüchig geworden, sie konnte diesen Bestandteil des Deals nicht einhalten ihrerseits?

Lambsdorff: Richtig. Ich war ja damals noch im Europäischen Parlament und hatte die Zuständigkeit für die Türkei in meiner Fraktion. Und genauso wie die Kollegen aus den anderen Fraktionen haben wir uns alle die Augen gerieben, als plötzlich die Regierungen, also der Rat, der Türkei zusagte, sie bekäme Visumsfreiheit. Das ist eine Zusage, die sie gar nicht ohne das Europäische Parlament machen konnten. Und im Europäischen Parlament ist man völlig eindeutig der Meinung, dass ohne eine Änderung dieser völlig willkürlichen Terrorgesetzgebung – sie können ja bereits für einen Tweet oder für ein Like auf Facebook unter der Terrorgesetzgebung der Türkei verfolgt werden, strafrechtlich – dass es ohne eine Änderung dieses Willkürparagrafen nicht Visumsfreiheit geben können wird. Und insofern ist im Grunde das, was Cavosoglu jetzt gesagt hat, eine Rückkehr zum Ausgangspunkt der Debatte aus dem Jahr 2016. Aber es ist keine fundamentale Veränderung. Jedenfalls ist es schwer, aus seinen Äußerungen so etwas jetzt herauszulesen.

Frage: Die Türkei bekommt Geld aus Europa dafür, dass sie die Flüchtlinge dort behält. Und eine Tranche ist gerade erst überwiesen worden. Ist das in Ordnung, das Geld zu nehmen und sich dann zu beschweren?

Lambsdorff: Das schwingt in Ihrer Frage in gewisser Weise mit. Ich finde das nicht in Ordnung. Die Türkei profitiert von dem Abkommen finanziell, Sie haben völlig recht. Aber die finanzielle Zuwendung, die die Türkei erhält, ist eine in ureigenem europäischen Interesse. Wir dürfen nicht vergessen, in der Türkei sind circa drei Millionen Flüchtlinge angekommen. Wir erinnern uns ja an das Jahr 2015 hier in Deutschland, was es bei uns bedeutet hat, dass eine Millionen gekommen ist. Also, die Türkei trägt eine erheblich größere Last des Syrienkonfliktes, als wir das hier tun. Und wenn die Europäische Union mit der Türkei da eine Absprache hat, dass sie finanziell unterstützt wird, finde ich das jedenfalls richtig. Das habe ich ja von Anfang an so gesehen.

Frage: Die Last der Türkei ist ohnehin tatsächlich nicht gering zu schätzen. Vier Millionen Flüchtlinge aus Syrien befinden sich in der Türkei, fast vier Millionen, 3,6 sind es, um ganz genau zu sein. Hat das Abkommen aus europäischer Sicht die beabsichtigte Wirkung gehabt?

Lambsdorff: Ja. Ich glaube, das kann man sagen. Das Abkommen war eine gute Idee. Es hat die Schwierigkeiten, die die Türkei mit dieser großen Zahl von Flüchtlingen hat, anerkannt. Es hat Unterstützung gegeben. Es hat eine Regelung gegeben, dass die Lage auf den griechischen Inseln zumindest ein wenig weniger schlecht wurde, als sie es ist. Von gut kann man da nicht reden oder von besser. Aber ich glaube, das Abkommen hat insgesamt seinen Zweck erfüllt. Wenn es jetzt noch um die Frage der Visumsfreiheit geht, dann muss ich jetzt darauf verweisen, was ich eben gesagt habe. Ohne eine Änderung der Antiterrorgesetzgebung wird es die im Europäischen Parlament, jedenfalls nach meinem Dafürhalten, auf absehbare Zeit nicht geben. Aber ich glaube, dass man deswegen – und das ist, glaube ich, der Appell, den wir jetzt richten müssen an die Bundesregierung, auch an den Europäischen Auswärtigen Dienst und an die Europäische Kommission – wir müssen schnellstmöglich Klarheit darüber bekommen, was Cavosoglu eigentlich genau sagen wollte mit seinen Äußerungen und ob die türkische Seite neue Forderungen hat. Dann muss man darüber reden. Aber zur Zeit ist es ein wenig unklar, was Ankara sich hier vorstellt.

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