Stellv. Fraktionsvorsitzender

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Alexander Graf Lambsdorff
Pressemitteilung

LAMBSDORFF-Interview: Wenn von der Leyen keine Fehler macht, ist sie Kommissionspräsidentin

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab „NDR Info“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Liane Koßmann:

Frage: Was heißt denn das jetzt für die Wahl in zwei Wochen? Werden die Liberalen im EU-Parlament Ursula von der Leyen ihre Stimme geben oder nicht?

Lambsdorff: Also, die Fraktion hat sich getroffen in Straßburg und hat diskutiert. Man ist der Meinung, dass man sie erst mal anhören muss, dass man erst mal hören muss, wie ihre Vorstellungen aussehen zu den großen Themen. Natürlich gibt es Ärger darüber, dass nicht Margrethe Vestager nominiert worden ist. Sie haben eben SPD und Grüne zitiert, es wäre richtig gewesen, wenn die beiden Parteien sich hinter Margrethe Vestager gestellt hätten. Dann hätten wir eine Spitzenkandidatin jetzt an der Spitze der Kommission. Das wäre besser für die Demokratie in Europa gewesen. Aber das haben die nicht getan und so konnten dann die Regierungschefs Frau von der Leyen wie ein Kaninchen aus dem Hut zaubern.

Frage: Ja, aber warum hat es das Parlament in den Wochen seit der Wahl versäumt, sich mit einer Mehrheit und mehreren Fraktionen hinter einen der Spitzenkandidaten zu stellen und dem Rat dann zu sagen: Ihr nehmt den oder die oder wir lassen alle anderen scheitern?

Lambsdorff: Das ging in mehreren Etappen vor sich. Zuerst haben die Konservativen zu lange gebraucht, um zu verstehen, dass gegen Emmanuel Macron die Kandidatur von Manfred Weber völlig aussichtslos ist. Sie haben viel zu lange an Weber festgehalten. Dann wurde Frans Timmermans von den Sozialdemokraten nominiert und die Sozialdemokraten haben nicht verstanden, dass Timmermans, den ich persönlich außerordentlich schätze, in Osteuropa einfach nicht vermittelbar ist. Und wir haben nun mal eine größere Europäische Union inzwischen. Und dann war es im Grunde zu spät, weil dann hätten die anderen sagen müssen: Jetzt nehmen wir dann die dritte Kandidatin, Margrethe Versager. Dazu konnten sie sich nicht durchringen und insofern hatte dann der Rat die Möglichkeit, seine eigene Kandidatin vorzuschlagen.

Frage: Geht es Ihnen denn da jetzt allein um dieses Spitzenkandidatenprinzip oder tatsächlich auch um die Person Ursula von der Leyens?

Lambsdorff: Nein, die Person Ursula von der Leyen ist eine Europäerin, die ist in Brüssel aufgewachsen, spricht fließend Englisch und Französisch, hat im Ausland auch einen guten Ruf. Darum geht es mir nicht, aber ich hätte es besser gefunden, wenn sie das denn will, nach Brüssel zu gehen, dass sie sich den Wählerinnen und Wählern in der Europawahl stellt. Wie ist ihre Vorstellung zur Digitalisierung? Zur Energieunion? Zur Stabilisierung des Euros? Zum Klimaschutz? Zum Freihandel? Das wissen wir ja alles nicht. Sie ist ein völlig unbeschriebenes Blatt und insofern die Wählerinnen und Wähler, die am 26. Mai ja viel mehr zur Wahl gegangen sind als in der Vergangenheit – wir haben ja eine viel höhere Wahlbeteiligung gehabt –, die kriegen jetzt wirklich dieses sprichwörtliche Kaninchen aus dem Zylinder und jetzt muss sie in den nächsten Wochen und Monaten sagen, was ihre Vorstellungen sind. Noch ist sie nicht gewählt.

Frage: Wenn Sie sagen, niemand kenne von der Leyens Absichten zu den großen Herausforderungen der EU: Das könnte doch jetzt aber auch eine Chance für Sie sein, liberale Positionen einzubringen.

Lambsdorff: Das ist richtig und deswegen hat auch die Fraktion eben nicht von vorneherein gesagt, dass sie sich verweigert, sondern sie wird Frau von der Leyen anhören und wird mit ihr über genau diese Themen sprechen. Insbesondere auch über die Vorstellungen für die mittelfristige Finanzplanung, die wird ja im nächsten Jahr fertig gemacht für die dann folgenden sieben Jahre. Das ist eine ganz entscheidende Weichenstellung. Ich glaube, dass wenn Frau von der Leyen keine Fehler macht, dann ist sie auch Kommissionspräsidentin. Aber wenn sie in den nächsten Wochen nicht klarmacht, wo ihre Schwerpunkte auf den verschiedenen Politikfeldern liegen und wie sie die unterschiedlichen Interessen da zusammenbinden und nach vorne bringen will, dann kann es immer noch passieren, dass sie scheitert. Einmal muss sie in zwei Wochen als Person gewählt werden und dann ist ja im Herbst noch mal die Wahl der gesamten Kommission nach den Anhörungen der verschiedenen Kommissare dran. Also das ist noch nicht in trockenen Tüchern, aber wenn sie keine Fehler macht, glaube ich, dann ist sie so gut wie gewählt.

Frage: Jetzt ist es ja auch in Berlin in der Großen Koalition zu großen Verwerfungen gekommen oder auch überhaupt im politischen Berlin wird diese Personalie ja heiß diskutiert. Angela Merkel musste sich als einzige im Europäischen Rat enthalten, weil die SPD von der Leyen nicht unterstützt. Sie sind ja Außenexperte, Herr Lambsdorff. Welche Wirkung hat das und was sagt das auch aus über die Große Koalition in Berlin?

Lambsdorff: Das schwingt in Ihrer Frage ja schon mit. Der Zustand der Großen Koalition ist einfach desaströs. Und ich sage das jetzt mal als Oppositionspolitiker, das wird die Hörerinnen und Hörer dann nicht überraschen. Aber wenn man es aus dem Ausland betrachtet und man schaut auf das größte Land der Europäischen Union: Da wird eine deutsche Kandidatin vorgeschlagen im Rat nach einem, das haben wir ja eben herausgearbeitet, einem unglücklichen Verfahren. Aber es ist die erste Deutsche seit mehreren Jahrzehnten, die da vorgeschlagen wird und ausgerechnet die deutsche Regierungschefin kann nicht zustimmen, weil der eigene Koalitionspartner bockig ist. Das kann niemand verstehen. Es macht im Ausland einen miserablen Eindruck. Die Kanzlerin, unser Land insgesamt, wir stehen geschwächt da an dieser Stelle. Also, weil natürlich sich alle fragen wie das eigentlich sein kann, eine so groteske Situation, dass ausgerechnet die Regierungschefin des Landes, aus dem die Kandidatin kommt, sich dann enthalten muss. Also mit anderen Worten: Die Große Koalition ist ein echtes Problem in Berlin. Ich hoffe, dass die sich zusammenraufen, ordentliche Arbeit macht. Dann werden wir auch da mit ordentlicher Oppositionsarbeit dagegen gehen. Aber so wie es im Moment läuft, ist es nur ein weiteres Kapitel in dieser traurigen Geschichte dieser GroKo.

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