Stellv. Fraktionsvorsitzender

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Alexander Graf Lambsdorff
Pressemitteilung

LAMBSDORFF-Interview: Nawalny ist für die Politik in Russland dringend notwendig

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab dem „Deutschlandfunk“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Stefan Heinlein:

Frage: Es brauche volle Transparenz, um die Tat bis ins Letzte aufzuklären, die Verantwortlichen müssen ermittelt und zur Rechenschaft gezogen werden, so die erste Reaktion der Kanzlerin. Ist das denn der Klartext, der notwendig ist, gegenüber Wladimir Putin?

Lambsdorff: Bemerkenswert an dem Statement ist ja, dass es von der Bundeskanzlerin und dem Bundesaußenminister gemeinsam verfasst und veröffentlicht wurde. Das ist eher ungewöhnlich. Das ist schon ein relativ starkes Signal, diplomatisch gesprochen, auf der einen Seite. Auf der anderen Seite müssen wir auch ganz klar sagen, dass die Moskauer Behörden bisher nicht den geringsten Anschein erwecken, als ob sie an transparenter Aufklärung interessiert wären. Auch aus Omsk, aus der Klinik kommen ja lauter Signale, die eher auf das Gegenteil hindeuten und den Ärzten in der Charité fehlerhafte Arbeit unterstellen.

Frage: Wäre dieses starke Signal aus Berlin noch kräftiger, wenn es nicht aus Berlin, sondern aus Brüssel käme? Eine gemeinsame europäische Reaktion?

Lambsdorff: Ich glaube, dass Josep Borrell in seinem Statement ja, also der Außenbeauftragte der Europäischen Union, ziemlich genau dasselbe gesagt hat. Also, ich glaube, die Europäische Union ist hier geschlossen. Aber der Fokus, der liegt natürlich zurzeit auf Berlin, weil die deutsch-russischen Beziehungen sind nochmal etwas Besonderes. Das sage ich als überzeugter Europäer, aber auch als jemand, der sich lange schon um die deutsch-russischen Beziehungen kümmert. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland sind auf so vielen Ebenen so eng und so tief, dass das eine besondere Qualität hat. Und vergessen wir bitte nicht: Alexej Nawalny liegt ja in Berlin im Krankenhaus, insofern kommt der Bundesregierung ja auch eine besondere Rolle zu.

Frage: War es denn ein kluger Schachzug der Bundesregierung oder ein zu hohes Risiko, dass man entschieden hat, Nawalny nach Berlin zu holen?

Lambsdorff: Nein, ich glaube, das muss man erst mal auch unter humanitären Gesichtspunkten sehen. Wir haben hier in Deutschland, in der Charité, in Berlin wirklich hochqualifizierte Experten für solche Fälle. Es ist ja auch nicht das erste Mal, dass ein Vergiftungsopfer aus Russland kommt, denken wir mal an den Pussy-Riot-Aktivisten Wersilow. Der war im September 2018 auch in der Charité, nachdem er offenbar vergiftet worden war. Also, das ist erst mal etwas humanitär Richtiges, was da geschehen ist. Es ist auch humanitär richtig gewesen, dass die russischen Behörden Nawalny haben ausfliegen lassen. Aber insgesamt ist das politisch natürlich immer etwas, das dann Folgen hat. Aber wie die Folgen aussehen werden auf der längeren Sicht, das ist eine völlig andere Frage. Bei Vergiftungen ist es einfach wahnsinnig schwer nachzuweisen, wer wirklich dahinter steckte. Waren es staatliche Stellen? Gab es einen Auftrag von oben? Das ist einfach sehr kompliziert herauszufinden.

Frage: Nawalny wird ja jetzt vom BKA bewacht. Also er steht offenbar unter oder ist akut gefährdet, nach Einschätzung der Bundesregierung. Wäre es jetzt humanitär richtig, wie Sie sagen, im Anschluss an die Behandlung Nawalny auch in Deutschland politisches Asyl, Schutz in Deutschland, zu geben?

Lambsdorff: Wenn er das beantragen würde, dann, glaube ich, würde er die Voraussetzungen erfüllen. Die Arbeit, die er gemacht hat in den letzten Jahren in Russland, hat natürlich dazu geführt, dass er politisch als Person enorm unter Druck geraten ist. Ich glaube, das würde das Grundgesetz hergeben. Auf der anderen Seite, ich würde es mir nicht wünschen. Ich glaube, ein Alexej Nawalny ist für die Politik in Russland dringend notwendig. Denn was bedeutet es für die politische Kultur in Russland, wenn der wichtigste Oppositionelle verstummt, nachdem Boris Nemzow ermordet worden ist vor wenigen Jahren, jetzt mit Nawalny der zweite wirklich prominente Oppositionspolitiker, der zurzeit nicht arbeiten kann? Was passiert denn in Russland selber, wie entwickelt sich das Land denn ohne jede Opposition? Was machen denn liberale, junge, gebildete Russen? Die müssen ja das Land irgendwann verlassen, wenn es dort in eine, ich sage mal, Putinokratie geht, die langsam an die Endphase der Breschnew-Ära erinnert. Das ist ja für Russland ganz fatal, was da politisch zurzeit passiert. Und insofern: Ich wünsche mir, dass Nawalny gesund wird. Ich wünsche mir, dass er politisch wieder aktiv werden kann. Ich wünsche mir, dass er nach Russland zurückkehrt und seine Arbeit fortsetzen kann.

Frage: Ein offenes Wort von Ihnen, Herr Graf Lambsdorff. Gibt es aus Ihrer Sicht noch vernünftige Zweifel, dass der Kreml in diesem Giftanschlag auf Nawalny verstrickt ist?

Lambsdorff: Ich kann es nicht beweisen und deswegen will ich mich mit Spekulationen zurückhalten. Aber eines ist klar: Denn für den Kreml waren die letzten Jahre nicht besonders gut. Dem stecken die massiven Proteste gegen die Rentenreform von 2018 immer noch in den Knochen. In Chabarowsk gingen Zehntausende von Menschen jede Woche auf die Straße, um gegen die Verhaftung ihres Gouverneurs zu demonstrieren. In Belarus tun sich Dinge, die man aus Sicht des Kreml auch nicht begrüßen kann. Also, ich glaube, dass diese starke Position, die wir Wladimir Putin und seine Administration so von außen immer zubilligen, von innen betrachtet, aus dem Kreml heraus betrachtet, gar nicht so stark erscheint. Und deswegen ist es relativ plausibel, dass es dort eine Verbindung zu Nawalny und den Ereignissen gibt. Nur beweisen kann man es nicht, und deswegen soll man auch nicht spekulieren.

Frage: Sind vor diesem Hintergrund, die Sie gesagt haben, Anschläge ein politisches Mittel des Kreml als Warnung an alle Kritiker?

Lambsdorff: Ginge der Anschlag vom Kreml tatsächlich aus, dann wäre das vermutlich so zu interpretieren. Nur, wir können es nicht beweisen, und ich will das hier auch deutlich sagen: Solange man das nicht beweisen kann, soll man auch eine solche Verbindung nicht direkt herstellen. Es ist wichtig, dass wir vom Westen aus die Beweise finden. Wir haben es in anderen Fällen ja geschafft. Der Anschlag auf Skripal in England ist aufgeklärt worden. Wir wissen, wer die Leute waren, die es gemacht haben. Wir wissen auch, wer die Verantwortlichen für den Abschuss des Passagierflugs MH17 waren. Man weiß, wer das war. Man kennt die Namen. Und solange man die Namen nicht kennt, sollte man also nicht zu weit gehen in meinen Augen. Das ist, glaube ich, etwas, wo wir als Rechtsstaaten uns an unsere eigenen Standards halten sollten und nicht in Spekulationen uns ergehen.

Frage: Keine Spekulation, sondern eine Tatsache, Graf Lambsdorff, ist, dass Wladimir Putin ein ehemaliger KGB-Agent ist. Wie stark prägt dies seine Politik? Hat er möglicherweise weniger Skrupel als ein westlich sozialisierte Politiker?

Lambsdorff: Nun, ich glaube, dass in den Demokratien des Westens Vergiftungen kein Teil des politischen Repertoires sind, Gott sei Dank. Politische Morde im Regelfall auch nicht, Gott sei Dank. Und was die Perspektive von Putin angeht, so ist sie sicher geprägt auch durch seine eigene Biografie. Sie haben gerade gesagt, er sei ein ehemaliger KGB-Agent. Ich kann dazu sozusagen mit einem russischen Scherz antworten. Der lautet: ‚einen ehemaligen KGB-Agenten gibt es gar nicht‘.

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