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LAMBSDORFF-Interview: Die NATO braucht ein neues strategisches Konzept
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab „WDR 5“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Judith Schulte-Loh:
Frage: Die Zweifel an der Geschlossenheit des Bündnisses wachsen. In welchem Zustand ist der politische Zusammenhalt in der NATO?
Lambsdorff: Der politische Zusammenhalt ist in der Tat gestört zurzeit, da führt gar kein Weg dran vorbei. Es findet zu wenig politische Analyse, zu wenig politische Besprechung auf der hohen Ebene der Minister und Staatschefs in der NATO statt. Und der Kontrast zur militärischen Zusammenarbeit könnte gar nicht größer sein. Denn die funktioniert nach wie vor ziemlich reibungslos.
Frage: Aber es braucht den politischen Zusammenhalt, damit auch der militärische weiter funktioniert. Schauen wir auf die türkische Militäroffensive in Nordsyrien im Oktober. Die USA zogen ihrerseits ja eigene Truppen aus dem Gebiet ab. Beide NATO-Länder haben dies ohne Abstimmung mit den Bündnispartnern getan. Was heißt das?
Lambsdorff: Ja, genau das ist das, was Emmanuel Macron ja kritisiert hat, dass solche entscheidenden sicherheitspolitischen Weichenstellungen im NATO-Rat diskutiert werden müssen, sagt er. Und ich finde, da hat er recht. Ich finde, dass er gesagt hat, die NATO sei hirntot, ist eine völlige Übertreibung und überdeckt im Grunde das, was er verlangt. Er verlangt nämlich, dass das Gehirn der NATO, eben diese politische Abstimmung, stattfindet. Und ich glaube, da hat er auch recht.
Frage: Aber es kommt was hinzu. Ich meine, dass hinter den USA die Türkei die zweitstärkste Militärmacht im Bündnis ist, das spielt natürlich schon auch eine Rolle. Es scheint der Eindruck zu entstehen, die Kleineren müssen zugucken, was die Großen machen.
Lambsdorff: Ja, nun ist es so, dass in der NATO auch in der Vergangenheit wir schon Krisen hatten, wo gerade die Türkei schwierig war. Die NATO ist ja ein Militärbündnis, sie ist ein politisches Bündnis, sie versteht sich auch als Wertegemeinschaft. Aber wir haben auch in der Vergangenheit in der Türkei ja Phasen gehabt, wo wir beispielsweise Militärherrschaft hatten, aber man dann abgewogen hat: Was ist hier wichtiger? Das Geostrategische, das Politische, das Wertmäßige? Und man ist dann zu dem Schluss gekommen: Die Türkei ist ein so wichtiges geostrategisches Mitglied der NATO, dass man da eine gewisse Nachsicht hat. Und insofern: Der Streit zwischen Erdogan und Macron zurzeit ist etwas, das, wenn man die Geschichte der NATO sich vor Augen führt, nicht wirklich herausragt. Es ist eine Sache, die man besser ad acta legen sollte. Man sollte das machen, was Macron sagt, nämlich sich tatsächlich in Brüssel abstimmen. Aber ich glaube nicht, dass es eine Gefährdung für die NATO als solche ist.
Frage: Nun kann die NATO ja so oder so niemanden rauswerfen. Also muss man sich genau konstruktiv überlegen, wie man zum Beispiel mit der Türkei umgeht. Nachsicht alleine wird da nicht reichen.
Lambsdorff: Nein, und ich glaube auch, dass der Präsident sich darauf heute nicht verlassen kann, dass alle nachsichtig mit ihm sind. Erdogan wird sich da einiges anhören müssen. Aber auf der anderen Seite ist die NATO, nochmal, militärisch eben wirklich hochfunktionell. Wir haben in den mittel- und osteuropäischen Ländern eine Stärkung der militärischen Abschreckung erreicht, nachdem Russland in die Ukraine einmarschiert ist 2014. Polen und die Balten haben aktive Unterstützung. Auch aus Deutschland übrigens, die Bundeswehr hat ja in Litauen ein Kontingent. Also mit anderen Worten: Man darf das Politische nicht außer Acht lassen, aber man darf das Militärische dabei bitte nicht vergessen.
Frage: Und für das Militärische muss gezahlt werden. Nun wird ja mehrfach gezahlt und auch mehr als in den letzten Jahren. Deutschland steht aber da auch vor allen Dingen immer wieder in der Kritik, dass man bis heute nicht die Zusage, zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung auszugeben, einhält. Und viele Gerätschaften, das gehört zur Ehrlichkeit dazu, sind ja auch Schrotthaufen. Also, wird auch Angela Merkel sich bei dieser Geburtstagsfeier verteidigen müssen?
Lambsdorff: Ja, die Amerikaner haben da natürlich einen Punkt und ich glaube, eins ist wichtig für die Hörerinnen und Hörer: Dieses Zwei-Prozent-Ziel hat nicht Donald Trump erfunden. Das ist zur Zeit von Barack Obama vereinbart worden. Und aus Deutschland war es ein SPD-Außenminister, Frank-Walter Steinmeier, der gesagt hat: Ja, das machen wir. Also, insofern: Manche Debatte, die heute da geführt wird, ist ein bisschen verschoben. Und vergessen wir eines auch nicht: Die Europäische Union insgesamt ist heute wirtschaftlich genauso leistungsstark wie die USA. Und trotzdem zahlen die USA alleine 70 Prozent der NATO-Ausgaben. Und ich kann schon verstehen, dass die Amerikaner dann darum bitten, dass die Europäer ihren Anteil ein bisschen nach oben schrauben und zum Beispiel, Sie haben darauf hingewiesen, leistungsfähige militärische Gerätschaften auch bereithalten, um den Zweck der NATO zu erfüllen.
Frage: Die NATO ist eigentlich, wenn man in die Geschichte guckt, eine Erfolgsgeschichte. Aber wie kann man sie jetzt künftig wieder, ohne das zu ignorieren, was in Kritikpunkten wirklich da ist, wie kann man sie in die Spur bringen?
Lambsdorff: Ich glaube, eines ist ganz wichtig: Wir brauchen in der NATO ein neues strategisches Konzept. Das letzte wirkliche Grundlagen-Dokument ist von 2010. Das war wirklich eine andere Welt, das war beispielsweise vor dem Ukraine-Krieg. Ich glaube, dass es deswegen gut wäre, man würde sich hinsetzen und versuchen, im nächsten Jahr oder in den nächsten zwei Jahren gemeinsam mal sich zu überlegen: Wie gehen wir eigentlich mit der veränderten Sicherheitslage in der Sahel-Zone und in Südosteuropa um? Und das ist, glaube ich, die Arbeit, die da getan werden muss. Aber ich sehe da im Moment keine Bereitschaft. Ich würde mich freuen, wenn die Bundesregierung so etwas einbringen würde in die NATO, nämlich einen Vorschlag, wirklich ein neues Konzept zu erarbeiten für 2020.