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LAMBSDORFF-Interview: Israel ist kein Partner wie alle anderen
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab dem „Deutschlandfunk“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Ann-Kathrin Büüsker:
Frage: Herr Lambsdorff, ist Israel inzwischen aus deutscher Sicht einer dieser eher schwierigen Partner, die man zwar braucht, aber mit denen man dann auf eine gewisse schwere Art und Weise auch irgendwie zusammenkommen muss?
Lambsdorff: Israel ist zunächst mal für Deutschland ein historischer Partner. Aus der gemeinsamen Geschichte erwächst eine ganz besondere Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels und für funktionierende Beziehungen. Ich glaube, dass muss man vorwegschicken. Israel existiert nur, weil es den Holocaust gegeben hat, weil es die Schoa gegeben hat. Mit anderen Worten: Es ist nicht ein Partner wie alle anderen; es ist ein Partner, mit dem man anders redet, auch wenn es – und da haben Sie völlig recht, wir haben es ja eben ein Stück auch gehört – politisch den einen oder anderen Streitpunkt gibt.
Frage: Was vereint uns denn heute noch?
Lambsdorff: Israel ist die einzige Demokratie im Nahen Osten. Israel ist eine dynamische Wirtschaft, ist ein Rechtsstaat. Mit anderen Worten: teilt ganz viele Werte, von denen wir in Europa auch überzeugt sind. Das setzt das Land ab natürlich gegenüber den anderen Ländern in der Region, in denen das ja bekanntlich nicht so ist, wo es mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht weit her ist. Mit anderen Worten: Es ist eine Wertebasis, die wir miteinander haben. Es ist eine gemeinsame Geschichte. Und – ich glaube, das ist wichtig – es ist ein Land, mit dem wir auch in Zukunft die Beziehungen wirklich sehr eng gestalten sollten, einfach aus dieser gemeinsamen Verantwortung heraus. Deswegen schlagen wir ja auch vor, aus dem Deutschen Bundestag heraus, aus der FDP-Fraktion heraus, dass man ein deutsch-israelisches Jugendwerk gründet, weil der Abschied der letzten Schoa-Überlebenden, der ist absehbar. Aber die Beziehungen müssen ja auch in kommenden Generationen gepflegt werden. Wir müssen den Jugendaustausch auf eine neue Basis stellen.
Frage: Die Beziehungen pflegen ist ja schwierig, wenn man in zentralen Fragen so entzweit ist. Letztes Jahr wurden die Konsultationen inoffiziell wegen der Siedlungspolitik Israels verschoben. Die Siedlungspolitik hat sich im Prinzip nicht verändert. Trotzdem finden die Konsultationen in diesem Jahr statt. Ist das richtig?
Lambsdorff: Ja, das ist richtig. Natürlich gibt es Streit über die Siedlungspolitik, und auch wir sehen die ja im Bundestag sehr kritisch. Insbesondere jetzt die Vorgänge um das Dorf Khan al-Ahmar in dem Gebiet direkt östlich von Jerusalem – ein Dorf, das jetzt abgerissen werden soll. Die machen einem schon Sorge und auch das war wieder wenige Tage vor den Konsultationen im Grunde aus diplomatischer Sicht ein etwas unfreundlicher Akt. Die Siedlungspolitik muss angesprochen werden, sie muss kritisch angesprochen werden, denn so wie sie zurzeit verfolgt wird, macht sie absehbar die Zwei-Staaten-Lösung unmöglich, die nach dem Konsens der internationalen Gemeinschaft der beste Weg nach vorne ist.
Frage: Aber hat sich die Regierung Netanjahu davon nicht schon längst verabschiedet?
Lambsdorff: Das ist schwer zu sagen, ob sie sich davon verabschiedet hat. Offiziell hat sie das nicht und ich hielte es auch für falsch, wenn sie es täte. Wenn man sich von einem Lösungsansatz verabschiedet, dann muss ja entweder eine wirklich ernsthafte Geschichte des Versuchs zu sehen sein, diese Lösung zu erreichen, und man muss dann sagen, es hat einfach nicht funktioniert. Oder aber es muss idealerweise dann gleichzeitig ein alternativer Lösungsentwurf präsentiert werden, der funktioniert und der akzeptiert wird, der humanitär, der politisch, der unter Sicherheitsaspekten für Israel gut ist. Diesen alternativen Lösungsansatz sehe ich nicht. Gleichzeitig aber sehen wir die Siedlungspolitik, die Sie eben angesprochen haben, und auch die Verlegung der amerikanischen Botschaft nach Jerusalem. Das ist politisch in der Tat nicht klug.
Frage: Sie haben das Beduinen-Dorf eben angesprochen. Wenn das abgerissen wird und an die Stelle eine israelische Siedlung rückt, dann ist Ostjerusalem de facto vom Westjordanland abgeschnitten. Dann ist eine Zwei-Staaten-Lösung überhaupt nicht mehr möglich. Muss die Bundesregierung da jetzt nicht auch sagen: Moment mal!
Lambsdorff: Doch, muss sie, soll sie, und das soll sie auch mit Nachdruck tun. Ich glaube, dass genau dieser Punkt entscheidend ist, dass Ostjerusalem eine Verbindung braucht zum Rest des Westjordanlandes und dieses Siedlungsgebiet, in dem Khan al-Ahmar, das Siedlungsgebiet E1. Das zu bebauen, das wäre in der Tat ein ganz schwerer Rückschlag für den Nahost-Friedensprozess. Da gibt es überhaupt keine Frage.
Frage: Aber warum sollte Netanjahu da auf kritische Stimmen aus Deutschland hören, wenn er doch die Unterstützung aus den USA hat?
Lambsdorff: Das hat einen anderen Grund. Israel ist bei aller Partnerschaft mit den USA wirtschaftlich mit Europa viel enger verbunden. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner Israels in der Europäischen Union. Mercedes Benz hat gerade in Tel Aviv ein Innovationszentrum gegründet. Die Startup-Kultur in Israel, die Forschung, die dort stattfindet, ist für uns von großem Interesse. Das hat Ihr Korrespondent ja gerade gesagt. Es finden dort Forschungen auf Gebieten statt, die wir in Deutschland nicht mehr in der Form durchführen – aufgrund von Diskussionen, die wir in der Vergangenheit hatten. Mit anderen Worten: Es gibt aus israelischer Sicht schon ein Interesse daran, es sich mit Europa nicht ganz zu verderben, und dazu gehört auch, dass man europäische Stimmen in der Siedlungspolitik hört.
Frage: Das Stichwort Wirtschaft bringt uns zum zweiten Thema, wo die Interessen von Deutschland und Israel weit auseinander liegen, und das ist die Causa Iran, das Atomabkommen mit Iran. Israel spricht sich ganz klar dagegen aus, fürchtet eine atomare Aufrüstung im Iran. Deutschland hält an dem Atomabkommen fest. Die EU will das Abkommen auf jeden Fall weiterhin am Leben halten. Wie soll man da auf einen gemeinsamen Zweig kommen?
Lambsdorff: Ich fürchte, das wird bei diesen Konsultationen nicht möglich sein. Die Position von Premierminister Netanjahu ist da ganz eindeutig. Es gibt Stimmen aus dem Sicherheits-Establishment in Israel, die das auch anders sehen, aber die Regierungslinie ist ganz klar so, wie Sie sie beschrieben haben: eine Ablehnung des Aktionsplans mit dem Iran, des Vertrags mit dem Iran. In unseren Augen, in meinen Augen ist das falsch – einfach deswegen, weil die Kritik an dem Abkommen nicht trifft. Die Kritik lautet ja, man habe ein Atomabkommen, aber die aggressive Regionalpolitik des Iran gehe weiter, mit der Hisbollah jetzt in Syrien und im Südlibanon, mit einem Raketenprogramm, das weiter entwickelt wird. Beide Punkte sind zutreffend und der Iran bedroht Israel auch direkt. Nur Abrüstungsabkommen sind keine Abkommen, mit denen die Politik eines Landes vollständig geändert wird. Das war auch bei den Abkommen zwischen der USA und der Sowjetunion früher nicht so. Sondern sie beziehen sich immer auf einzelne Aspekte der Politik eines Landes. Deswegen ist es richtig, dass Europa alles tut, den Kern des Abkommens zu erhalten, nämlich den Zugang der Inspektoren zu den iranischen Atomanlagen.
Frage: Aber Israel argumentiert ja auch damit, dass das Atomabkommen letztlich dem Iran seine wirtschaftliche Stabilität sichert und die wirtschaftliche Stabilität die Grundvoraussetzung dafür ist, in andere Länder zu expandieren, also sich auch militärisch in Syrien zu engagieren. Würde man das Abkommen aussetzen, hätte Iran letztlich viel weniger Möglichkeiten, sich in Ländern wie Syrien zu engagieren, so die israelische Sichtweise.
Lambsdorff: Ja, die teile ich nicht. Die Unterstützung des Iran für die Hisbollah im Bekaa-Tal, also im Südlibanon, ist ja schon Jahrzehnte alt. Der Konflikt mit Syrien läuft seit 2011. Auch dort war der Iran bereits involviert. Im Jemen unterstützt der Iran schiitische Milizen, unabhängig von dem Abkommen. Ich glaube, dass dieses Argument nicht stichhaltig ist. Ich weiß, dass es aus Washington und Tel Aviv im Gleichklang verkündet wird. Ich halte es dennoch nicht für stichhaltig.
Frage: Sie verstehen nicht die Sorgen Israels, die ja jetzt auch noch mal befeuert werden dadurch, dass die Russen Syrien ein Luftabwehrsystem zur Verfügung gestellt haben und Israel sich dann letztlich unter Umständen im syrischen Luftraum gar nicht mehr gegen Raketen des Iran wenden kann?
Lambsdorff: Im Gegenteil, Frau Büüsker. Ich verstehe die israelischen Sorgen sehr, sehr gut. Das Heranrücken des Iran an die israelische Grenze in Syrien ist aus israelischer Sicht völlig inakzeptabel und deswegen kann ich auch gut verstehen, wenn Israel sich dagegen wehren will. Ich kann auch die Kritik verstehen am Verkauf dieses S400-Systems an Syrien. Allerdings weiß ich auch, dass es zwischen Israel und Russland direkte Kontakte gibt, um zu verhindern, dass israelische Interessen nachhaltig geschädigt werden durch die Installation dieses Systems, das den Syrern auch nicht einfach so überlassen wird, sondern das gemeinsam mit russischen Mannschaften ja dort eingesetzt wird. Ich glaube, dass Israels Interessen durch dieses Abkommen nicht nachhaltig beschädigt werden, sondern dass es hier die direkte Linie zwischen Tel Aviv und Moskau gibt, die es verhindern wird, dass Syrien hier eigene Wege geht, die Israel schaden könnten.