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LAMBSDORFF-Interview: Es ist eine eindeutig völkerrechtswidrige türkische Invasion
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab dem „ZDF-Morgenmagazin“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Charlotte Potts:
Frage: Ist die türkische Offensive aus Ihrer Sicht völkerrechtswidrig? Der türkische Präsident Erdogan argumentiert ja, die Türkei versuche nur ihre Grenze zu schützen.
Lambsdorff: Das ist falsch. Es handelt sich um eine Invasion. Die Türkei ist nicht angegriffen worden. Es ist eine eindeutig völkerrechtswidrige Invasion, so wie Emmanuel Macron das ja klar gesagt hat. Ich finde es ausgesprochen bedauerlich, dass die Bundesregierung nicht den Mut aufbringt, das auch so deutlich zu sagen. Die Bundeskanzlerin könnte etwas sagen, unser Außenminister ist abgetaucht, und das was von der Verteidigungsministerin gekommen ist, das reicht auch nicht aus. Die Franzosen haben den türkischen Botschafter schon einbestellt, in Berlin hört man davon nichts.
Frage: Wie kann sich Erdogan denn ihrer Meinung noch umstimmen lassen? Sie kritisieren da die Bundesregierung. Er hat ja, wie wir das gerade gehört haben in einer Rede gestern, in bester „Trumpmanier“ gesagt: Hey, Europäische Union, reißt euch zusammen, wenn nicht, dann öffnen wir die Türen und schicken euch die 3,6 Millionen Flüchtlinge. Sitzt Erdogan da nicht einfach am längeren Hebel?
Lambsdorff: Erdogan selber steht innenpolitisch unter massivem Druck. Das Wirtschaftswachstum ist eingebrochen, er hat tatsächlich 3,5 Millionen syrische Flüchtlinge im Land, die Bevölkerung in der Türkei ist deswegen angespannt. Aber auf der anderen Seite kriegt er von der Europäischen Union ja Milliarden, um mit der Situation umzugehen. Also ganz so einfach, wie er das da sagt, ist es definitiv nicht. Und wenn das Völkerrecht so klar gebrochen wird, dann ist es auch eine Aufgabe Deutschlands und der anderen Europäer, das deutlich zu machen und deutlich zu markieren.
Frage: Es gibt ja noch eine weitere Lösung vielleicht. Die Grünen und Linke fordern einen Rüstungsexportstopp gegen die Türkei zu verhängen. Wäre das Ihrer Meinung nach eine Lösung?
Lambsdorff: Ein Rüstungsexportstopp ist ja nur ein minimaler Anteil der gesamten Exporttätigkeit. Ich würde aus Sicht der Freien Demokraten sagen, es wäre besser, wir würden die Hermes-Bürgschaften für alle Exporte wieder deckeln, um der türkischen Wirtschaft Druck zu machen, denn ich glaube, das ist die Achillesferse von Recep Tayyip Erdogan. Er ist angewiesen auf starkes Wirtschaftswachstum, um die Zufriedenheit im Land zu erhalten. Das ist in den letzten Monaten ausgeblieben, die Arbeitslosigkeit steigt, die Wirtschaftszahlen sinken. Und man sieht ja auch am Wahlergebnis in Istanbul, dass die Unzufriedenheit mit ihm in der Türkei steigt. In Istanbul ist ja die Oppositionspartei siegreich aus der Wahl hervorgegangen und stellt den Bürgermeister.
Frage: Bundesverteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer, die warnt ja bereits davor, dass der türkische Einmarsch zu einem Widererstarken des IS-Terror führen kann, also erneuter IS-Terror, plus bald schon zehntausende Geflüchtete, die versuchen gen Europa zu fliehen. Ist das denn ein Szenario, auf wir uns dann bald einstellen müssen?
Lambsdorff: Frau Potts, es gibt zwei Szenarien, auf die wir uns einstellen müssen: Das eine ist ein Fluchtszenario, das haben wir seit Tagen gesagt, aber ich habe von Außenminister Maas oder Frau Kramp-Karrenbauer keine Initiativen gesehen, um auf die Türkei zuzugehen, mit den Türken zu sprechen. Das zweite Szenario, das wir sehen müssen ist, dass Deutschland wie kein anderes Land außerhalb der Region betroffen ist. Wir haben 3,5 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln, die bei uns leben, davon circa eine Millionen Kurden. Und das, was wir befürchten müssen, sind jetzt Auseinandersetzungen auf unseren Straßen. All das hätte uns dazu bewegen müssen, hätte die Bundesregierung dazu bewegen müssen, viel stärker auf die Türkei einzuwirken, als das geschehen ist. Ich sehe hier wirklich ein Politikversagen bei Heiko Maas, Frau Kramp-Karrenbauer und Frau Merkel.
Frage: Harte Kritik da an der Bundesregierung. Was man ja manchmal vergisst, die Türkei ist NATO Partner. Was sagt der Einmarsch türkischer Truppen in Nordsyrien eigentlich über den Zustand des Verteidigungsbündnisses? Sie sind Europapolitiker. Gehört die NATO Mitgliedschaft der Türkei auf den Prüfstand?
Lambsdorff: Ich bin gerade auf dem Weg zur Parlamentarischen Versammlung der NATO in London, das geht heute Mittag dort los, wir werden das dort diskutieren. Allerdings kennt der NATO Vertrag gar keine Ausschlussklausel. Und die Operation als solche ist juristisch betrachtet auch gar nicht mit der NATO verbunden. Dennoch, die Türkei innerhalb der NATO wird sich Fragen anhören müssen. Wir werden jedenfalls Druck auf die türkischen Parlamentarier ausüben, um klar zu machen, dass eine solche Operation, die Terrorismus befördert, die Fluchtbewegungen befördert und eventuell sogar Stellvertreterkriege in Deutschland befördert, mit unseren Interessen nicht vereinbar ist, und im Bündnis auch nicht in Ordnung ist.