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LAMBSDORFF-Interview: China gefährdet Stabilität über den Indopazifik hinaus
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab „stimme.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Hans-Jürgen Deglow:
Frage: Graf Lambsdorff, Bundeskanzlerin Angela Merkel trifft in Washington Joe Biden. Welches außenpolitische Thema sollte aus Ihrer Sicht ganz oben auf der Agenda stehen?
Lambsdorff: Der US-Präsident und die Kanzlerin müssen über die Zukunft der freiheitlichen Demokratien des Westens reden, denn diese werden immer stärker von der kommunistischen Supermacht China herausgefordert. Europa und Amerika sind ein demokratisches Wertebündnis und als solches müssen wir den Einfluss Chinas eindämmen. Mit seiner wirtschaftlichen und militärischen Macht verfolgt Peking einen nach innen repressiven und nach außen aggressiven Kurs. Andere wichtige Themen wie Klimapolitik, Nord Stream, die Nato oder die Diskussion über Bidens „Build Back Better World“ Initiative müssen in diesem Kontext bewertet und besprochen werden.
Frage: Was können und sollten wir denn unternehmen, um im Systemwettbewerb mit China zu bestehen?
Lambsdorff: China ist ein Land, das sich an der Weltspitze etablieren und eine dominierende Rolle spielen will. Und dies soll nicht die Rolle eines gütigen Hegemons sein, sondern eines Hegemons, der alles Handeln nach seinem eigenen Nutzen ausrichtet. Hier geht es also um die Ausrichtung, die die Kommunistische Partei vorgibt, Freiheit kommt deshalb nicht vor. Mit den Auswirkungen einer solchen Politik sind wir in verschiedenen Staaten bereits konfrontiert. In Myanmar hat das Militär mit Unterstützung aus Peking geputscht. Unser Verbündeter Australien gerät durch absurde Strafzölle in der Handelspolitik massiv unter Druck. China hält sich weder an das Völkerrecht noch an andere internationale Verpflichtungen. Damit gefährdet Peking die Stabilität über den Indopazifik hinaus.
Frage: Aber eine gemeinsame Haltung ist bei diesem Konfliktthema ebenso wie in der Positionierung zu Putin Russlands noch nicht ausgeprägt genug?
Lambsdorff: China und Russland haben doch mit der Neuen Seidenstraße und mit Nord Stream 2 gezeigt, dass sie bereit sind, Wirtschaftspolitik für knallharte Machtpolitik einzusetzen. Die Biden-Administration ist beispielsweise beim Thema Gaspipeline deutlich und sichtbar auf Deutschland zugegangen. Man hat im Zusammenhang mit Nord Stream 2 auf Sanktionen verzichtet, obwohl das Projekt in den USA von wirklich allen abgelehnt wird. Washington hat nicht nur die von Trump angekündigte Reduzierung von Truppen in Deutschland zurückgenommen, sondern sie sogar zahlenmäßig aufgestockt. Es gibt noch mehr Beispiele, die eines zeigen: Es gibt eine ausgestreckte Hand aus dem Weißen Haus, aber keine erkennbare Bewegung aus dem Kanzleramt auf diese Hand zu. Das muss sich ändern.
Frage: Wie könnte denn diese Bewegung aus dem Kanzleramt konkret aussehen?
Lambsdorff: Der wichtigste Punkt hier ist ganz sicher Nord Stream 2. Sollte die Bundeskanzlerin ohne eine Lösung zurückkommen, dann wird dieser Besuch außer ein paar schönen Bildern nichts gebracht haben. Das Projekt ist geopolitisch so ausgerichtet, dass es die Ukraine umgeht und finanziell austrocknet. Die Amerikaner erwarten von uns, dass wir der Ukraine helfen. Das Land leidet schließlich unter einer aggressiven russischen Politik. Die Lage in der Ostukraine ist weiterhin schrecklich, die illegale Wegnahme der Krim hat natürlich Folgen auch für Handel und Wirtschaft.
Frage: Bekommt Deutschland eine Quittung für den Verzicht auf Sanktionen?
Lambsdorff: Die Rechnung ist: Der Ukraine fehlen durch wegfallenden Gastransit jedes Jahr 3,4 Milliarden Euro. Ich vermute, dass die USA der Kanzlerin eine Rechnung in ungefähr dieser Höhe präsentieren werden. Unterm Strich bedeutet das: Die Kosten für Nord Stream 2 werden für Deutschland absehbar höher sein als der Nutzen. Die Bundesregierung hat hier diplomatisch auf ganzer Linie versagt, die Rechnung bekommen wir nun politisch und finanziell.
Frage: Russland und China bieten sich unterdessen vor allem wirtschaftlich schwächeren europäischen Ländern und Staaten des globalen Südens als Partner an. Ist allen politischen Akteuren im Westen bewusst, welcher Machtfaktor allein mit der Neuen Seidenstraße verbunden ist?
Lambsdorff: Die Amerikaner haben jedenfalls erkannt, dass mit der Neuen Seidenstraße eine chinesische Schuldenfallen-Diplomatie einhergeht. Viele Staaten wollen bei diesem Infrastrukturprojekt gerne dabei sein, können sich aber eigentlich die Milliardeninvestitionen gar nicht leisten. Peking schafft hier gezielt große Abhängigkeiten. Biden hat auf dem G7-Gipfel eine Alternative präsentiert, die „Build Back Better World“ Initiative, auch B3W genannt. Sie soll mit eigenen Kooperationsprojekten anderen Regionen der Welt ein Angebot machen und sie nicht mit China alleine lassen. Und wer hat sich als ihr größter Widersacher präsentiert? Deutschland. Die Kanzlerin hat damit ein ganz schlechtes Signal ausgesendet. Sie hat nun die Chance, diesen Fehler in Washington zu korrigieren. Merkel muss erkennen, wo die großen Konfliktlinien des 21. Jahrhunderts verlaufen. Wir müssen uns selbst in die Lage versetzen, anderen Staaten Angebote zu machen, damit sich diese aus der Abhängigkeit Chinas befreien können oder erst gar nicht hineingeraten.
Frage: Sie vermissen insgesamt die Bereitschaft, nach den bleiernen Trump-Jahren, durch das von Biden geöffnete Fenster der Möglichkeiten auch frischen Berliner Wind wehen zu lassen?
Lambsdorff: Der Bundesregierung sollte mehr als an einem lauen transatlantischen Lüftlein gelegen sein. Washington ist zurück, aber wo ist Berlin? Wir sollten endlich die Chancen begreifen, die uns die Präsidentschaft Bidens bietet. Das gilt auch insgesamt für Europa, wir müssen aktiver werden. Warum baut Europa in Afrika keine Infrastruktur, sondern überlässt das Peking?
Frage: Warum ist Ihrer Meinung nach der Widerstand gegen Bidens Plan, gemeinsam eine bessere Welt wiederaufzubauen, in Berlin so stark?
Lambsdorff: Dahinter steckt eine falsch verstandene Außenwirtschaftspolitik, denn die Kanzlerin will weder Peking oder Moskau irritieren. Klar, internationaler Handel ist in einer globalisierten Welt richtig und wichtig, das machen alle, auch die USA. Aber wenn es um die zentralen strategischen Weichenstellungen für die nächsten Jahrzehnte geht, müssen wir Deutschen uns ohne Zweifel unserer Verankerung im westlichen Bündnis bewusst und gewiss sein.
Frage: Aus der Industrie kam zuletzt mit Blick auf die Corona-Einschränkungen die Anregung, Merkel solle sich auch dafür stark machen, dass Geschäftsreisende wieder leichter in die USA einreisen könnten. Viele Unternehmen warteten dringend darauf, dass ihre Mitarbeiter Wartungen und Instandsetzungen vor Ort durchführen dürften, hieß es.
Lambsdorff: Es gibt sehr viele Menschen, die unter den weiterhin scharfen Einreisebedingungen leiden. Es gibt Paare beiderseits des Atlantiks, die sich seit Monaten nicht sehen konnten. Wissenschaftler, Künstler, Studenten oder Geschäftsreisende sind ebenfalls betroffen. Ich rufe die USA auf, ihre restriktiven Regelungen zurückzunehmen. Von Frau Merkel wünsche ich mir, dass sie sich bei ihrem Besuch für einen Abbau dieser Härten einsetzt. Ziel muss ein Gesamtpaket sein, im Kern mit der Aussage: Die USA erlauben gegenüber Ländern des Schengenraumes wieder mehr Kontakte als bisher. Derzeit darf man aus dem Schengenraum praktisch nicht in die Vereinigten Staaten reisen, das ist für viele Menschen ein Riesenproblem.
Frage: Ein Thema des Merkel-Biden-Treffens könnten auch die jüngsten Hackerangriffe und Desinformationskampagnen in den USA und anderen Ländern sein. Im Verdacht stehen oft China und Russland.
Lambsdorff: Als offene Gesellschaften sind wir verwundbarer für Desinformation als geschlossene Gesellschaften mit gleichgeschalteten Medien. Auch unsere IT-Infrastruktur ist nicht stark genug geschützt. Die größte Aufgabe ist es also, unsere westlichen Gesellschaften insgesamt widerstandsfähiger zu machen. Ein gutes Ergebnis des Besuches wäre es, wenn ein Anstoß gegeben würde zur Gründung einer gemeinsamen Taskforce von Europäischer Union und den USA zum Umgang mit Desinformation und Angriffen aus dem Cyberraum.