Stellv. Fraktionsvorsitzender

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Alexander Graf Lambsdorff
Pressemitteilung

LAMBSDORFF-Interview: Die Bundeskanzlerin bringt die EU in Gefahr

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab dem „RBB Inforadio“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Leon Stebe:

Frage: Herr Lambsdorff, wie viel Risiko steckt in dieser Verlängerung für den Rest der EU?

Lambsdorff: Das ist ein erhebliches Risiko, denn was man so aus Brüssel hört, Großbritannien darf zwar bleiben, aber nicht mehr richtig mitmachen, das geben die europäischen Verträge nicht her. Ein Mitglied zweiter Klasse ist nicht vorgesehen. Insofern: Das Risiko ist groß. Und einen Teil des Risikos konnten wir letzte Nacht schon sehen. Zum ersten Mal hat es einen Streit in Brüssel über den Umgang mit dem Brexit gegeben, während wir bisher den Streit nur aus London kannten. In meinen Augen importiert diese Verlängerung ohne jede Gegenleistung den Streit über den Brexit aus London nach Brüssel, auf den europäischen Kontinent und ist daher sehr gefährlich.

Frage: Also schwappt dieser Brexit-Bazillus auf den Kontinent über?

Lambsdorff: Konnte man ja schon sehen. Emmanuel Macron hat gesagt: „Die Europäische Union ist zu wertvoll, als das wir riskieren dürfen, sie kaputt zu machen durch einen Schrecken ohne Ende.“ Da haben ihm zum Beispiel Sebastian Kurz aus Österreich zugestimmt oder der schwedische Premierminister Löfven. Andere, vor allem die Bundeskanzlerin, haben gesagt: „Ist uns egal, wir machen das jetzt so lange, wie die Briten das brauchen“. Die wollten ja noch viel länger machen als bis zum 31. Oktober. Aber die Gefahren für die EU, die sind groß und dieser Streit ist der erste Ausdruck genau dieser Gefahr.

Frage: Zumal wir ja heute Morgen immer noch nicht wissen, ob Theresa May einen Plan hat, wie sie aus dieser Sackgasse rauskommen will. Oder haben Sie da was gehört?

Lambsdorff: Herr Stebe, sie hat keinen Plan und insofern ist das hier eine Verschiebung für nichts und wieder nichts. Sie muss jetzt nach London zurückfahren, den Konservativen erklären, dass man länger in der EU bleibt. Anschließend muss sie erklären, wie sie mit Labour einen Kompromiss hinkriegen will. Aber da sagen ihre konservativen Parteifreunde: „Noch schlimmer als ein etwas längerer Verbleib in der Europäischen Union ist ein Kompromiss mit den Sozialdemokraten.“ Und das würde sie den Parteivorsitz kosten. Dann könnten wir unter Umständen einen Premierminister Boris Johnson bekommen, der würde dann in Brüssel das totale Chaos anrichten. Also, mit anderen Worten: Wir haben gerade hier eine Situation, in der insbesondere die Bundeskanzlerin eine große Gefahr für die Europäische Union heraufbeschworen hat. Denn wie es in London weitergeht, Herr Stebe, das wissen Sie nicht, das weiß ich nicht, das wissen unsere Hörerinnen und Hörer nicht. Es ist alles offen.

Frage: Aber was werfen Sie der Kanzlerin genau vor? Sie hat ja in letzter Zeit dafür geworben, auch Verständnis zu zeigen für die Briten und zumindest auf die Briten zuzugehen.

Lambsdorff: Ich werfe ihr vor, dass sie die Europawahl und auch die Benennung der nächsten Europäischen Kommission hier mithineingezogen hat. Die Europawahl ist wichtig. 500 Millionen Menschen müssen ja auch mal über andere Fragen diskutieren können in Europa: Wie machen wir es mit der Sicherung der Außengrenzen? Wie machen wir es mit dem digitalen Binnenmarkt? Wie gehen die Energiepolitik und der Klimaschutz in Europa weiter? Wir haben eine Europawahl, in der diese wichtigen Fragen von unterschiedlichen Parteien beantwortet werden müssen und die Menschen müssen sich dann entscheiden, wen sie wählen am 26. Mai. Stattdessen reden wir nur über den Brexit und die Briten müssen nach dem aktuellen Plan sogar noch mitwählen, was ja ein geradezu absurdes Spektakel ist. Und dann kommen die Abgeordneten aus London wieder nach Brüssel und Straßburg, besetzen ihre Parlamentssitze, um vielleicht nach ein paar Monaten, vielleicht aber auch nicht, zu gehen. Aber, und das ist entscheidend, sie bestimmen noch mit über die Zusammensetzung der nächsten Europäischen Kommission, mit der Europa in die Zukunft gehen will. Das heißt mit anderen Worten: Wir gefährden hier die Europäischen Institutionen, dieses schwierige, nicht immer leichte, aber doch sehr wertvolle Institutionengefüge, was es da gibt. Und da war die Kanzlerin sehr, sehr nonchalant. Sie hat das einfach gesagt: „Das machen wir.“ Das ist ihr egal. Hauptsache die Briten kommen irgendwann mit einem Plan zurück. Nur: Auch sie kennt den nicht. Interessant war ja, dass Macron die exakte gegenteilige Position hatte zu Angela Merkel hier.

Frage: Vielleicht war das auch nur für das Publikum, das weiß ich nicht. Aber vielleicht steckt auch die Hoffnung dahinter, dass sich dieser Brexit-Prozess einfach irgendwann mal abkühlt und die Briten einfach dauerhaft drin bleiben.

Lambsdorff: Ja, wenn ich wüsste, wie das gehen sollte, wäre das gut. Aber die Tories haben ganz klar gesagt: „Eine Rücknahme des Antrags auf Austritt wird es nicht geben.“ Und da vergessen wir bitte eines nicht: Bei den Sozialdemokraten ist ein Parteivorsitzender Jeremy Corbin. Der ist so eine Art britische Sarah Wagenknecht. Der will eigentlich auch, dass Großbritannien aus der Europäischen Union ausscheidet. Und es gab ein Referendum. Das ist immerhin ein demokratischer Akt, in dem die Bevölkerung sich für den Austritt ausgesprochen hat. Ich find das schade und mir passt das zwar nicht, aber es ist ein demokratisches Ergebnis. Man kann doch jetzt nicht einfach hingehen und sagen: „Ätsch, das war alles nichts. Das Ganze war nur ein großer Monty-Python-Film, in dem wir alle mitgespielt haben“.

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