Stellv. Fraktionsvorsitzender

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Alexander Graf Lambsdorff
Pressemitteilung

LAMBSDORFF-Interview: Bruch mit der Linie der EU-Kommission

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab dem „Deutschlandfunk“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Christoph Heinemann:

Frage: Graf Lambsdorff, sagen Sie Ja oder Nein zum Kommissionsprogramm?

Lambsdorff: Wir sagen Ja zu einem Hilfsprogramm für die Europäische Union nach der Corona-Krise. Wir sagen aber noch sicher nicht Ja zu diesem Vorschlag der EU-Kommission, denn der enthält noch viel zu viele Fragezeichen und viel zu viele auch – das muss man so klar sagen – ungedeckte Schecks.

Frage: Welche?

Lambsdorff: Beispielsweise, dass die Zuschüsse im Zentrum der Politik stehen sollen. Das ist ja ein Bruch mit einer Linie, die die Europäische Union nach der Finanzkrise eigentlich mal eingeschlagen hatte. Wir erinnern uns alle noch an den Juncker-Fonds. Jean-Claude Juncker hat gesagt, nach der Finanzkrise muss die Wirtschaft wieder angekurbelt werden, und es wurde ein europäischer Fonds für strategische Investitionen aufgelegt, verwaltet von der Europäischen Investitionsbank. Und der große Vorteil dieses Fonds war, dass er über Kredite funktionierte. Das heißt, es wurde von einer Bank, der Europäischen Investitionsbank, eine Prüfung vorgenommen: Sind die beantragten Projekte wirtschaftlich sinnvoll? Führen sie zu mehr Produktivität, zu Innovation, zu Wettbewerbsfähigkeit? Und dann wurden die Kredite vergeben. Das Ganze ist deswegen so sinnvoll, weil wir hier genau und gezielt operieren können, während das, was Frau von der Leyen vorschlägt, weit überwiegend verlorene Zuschüsse sein sollen. Das ist üblicherweise das, was der EU-Haushalt, der traditionelle Haushalt über die sogenannten Kohäsionsfonds, die Strukturmittel macht, und insofern sind da für uns noch große Fragezeichen, ob das wirklich der richtige Weg sein kann. Der andere Weg schien uns besser.

Frage: Warum sagen Sie dann unterm Strich dennoch Ja, wenn es sich um einen Bruch handelt?

Lambsdorff: Wir sind ja noch lange nicht am Ende der Debatte. Der Kollege Rehberg von der CDU hat gestern im Plenum des Deutschen Bundestags gesagt, es gelte das Gesetz von Peter Struck: Kein Gesetz geht so aus dem Deutschen Bundestag hinaus, wie es hineingekommen ist. Und auch Frau von der Leyen weiß ja ganz genau, dass die Verhandlungen jetzt erst mal beginnen. Hier müssen die Parlamente zustimmen, und zwar alle 27, und ich glaube, dass das, was Frau von der Leyen vorschlägt, eine so essentielle Neuerung der Finanzverfassung der Europäischen Union ist, nämlich die Aufnahme von Krediten, das heißt eine erstmalige Verschuldung der europäischen Ebene für Zuschüsse, dass wir hier im Deutschen Bundestag eine Zwei-Drittel-Mehrheit brauchen. Insofern: Wir werden hier intensiv und konstruktiv weiter diskutieren.

Frage: Ist das die Vergemeinschaftung von Schulden?

Lambsdorff: Nein, das ist nicht die Vergemeinschaftung von Schulden in dem Sinne, dass man sagt, hier kämen jetzt Euro-Bonds durch die Hintertür. Das hört man manchmal von der AfD. Das ist aber Unsinn, denn Sie haben es ja eben im Vorbericht auch gehört. Die Haftung ist anteilig. Das heißt, Deutschland haftet nur mit dem Teil, den es auch am EU-Haushalt hat. Es ist keine Vergemeinschaftung von Schulden im Sinne von Euro-Bonds. Sonst würden wir auch sofort ganz klar Nein sagen. Aber was es ist – und das ist neu: Es ist die Erlaubnis an die europäische Ebene, Schulden aufzunehmen. Bisher haben wir ja eine Staatsverschuldung bei Kommunen, bei Bundesländern und beim Bund selber. Die europäische Ebene war aber immer schuldenfrei, und das ist schon wirklich ein Schritt in eine neue Epoche. Insofern hat Frau von der Leyen schon recht: „Next Generation EU“. Das bedeutet, die Next Generation muss diese Schulden zurückbezahlen, und das ist eine so fundamentale Änderung, dass wir dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit brauchen.

Frage: Von der Vergemeinschaftung spricht übrigens nicht nur die AfD, sondern zum Beispiel auch der CDU-Politiker Christian von Stetten, und der wirft der Bundesregierung vor, den Bundestag in dieser Frage getäuscht zu haben.

Lambsdorff: Das muss Herr von Stetten wissen, wenn er das so sieht. Ich sehe das anders, auch meine Fraktionskollegen sehen das anders. Glauben Sie mir: Wir führen diese Diskussionen ja inzwischen seit über zehn Jahren mit großer Intensität und schauen sehr genau uns bestimmte Finanzinstrumente an. Wir haben uns sehr klar beispielsweise gegen Corona-Bonds positioniert. Wie Herr von Stetten auf diese Idee kommt, ist sein Geheimnis.

Frage: Wie wollen Sie das Geld auf die Straße bringen?

Lambsdorff: Das ist eine ganz entscheidende Frage, Herr Heinemann, und das ist ein Punkt, an dem ich selber skeptisch bin. Ich war lange genug in Brüssel, um zu wissen, dass die Prozesse dort nicht immer so schnell sind, wie sie eigentlich sein müssten, und alle diese Mittel sollen abfließen über die normalen Instrumente des europäischen Haushalts. Das ist ein träges Instrument, ein langsames Instrument. Das muss alles beantragt werden, es muss geprüft werden, es muss bewilligt werden von Mitarbeitern der Europäischen Kommission, von nationalen Wirtschaftsförderungsbehörden. Deswegen sehe ich ein riesiges Problem mit dem Abfluss der Mittel. Vergessen wir bitte nicht: Wir nähern uns aktuell in diesem Jahr dem Ende des laufenden mehrjährigen Finanzrahmens. Der umfasste auch ungefähr eine Billion Euro. 280 Milliarden sind immer noch nicht abgeflossen, weil es nicht gelungen ist, sie an den Mann, an die Frau, an die Kommune, an das Unternehmen zu bringen – einfach, weil es so langsam ist. Deswegen sagen wir auch von der FDP: Es ist besser, man setzt auf die mittelfristige Perspektive, auf ein solches Instrument. Aber für kurzfristige Hilfen, für schnelle Hilfen, für rechtssichere Hilfen, da ist die Europäische Investitionsbank der bessere Weg.

Frage: Graf Lambsdorff, wir wollen uns anhören, was der AfD-Politiker Kay Gottschalk gestern bei uns im Deutschlandfunk gesagt hat.

O-Ton Kay Gottschalk: „Wissen Sie, Solidarität setzt ja voraus, dass Sie Gleiches mit Gleichem vergleichen. Und wenn ich mir anschaue: Deutschland hat beispielsweise die geringste Wohneigentumsquote mit 45 Prozent. Italien, das in Rede stand, hat 77, Spanien 78. Wenn ich mir die Studien zum Median-Vermögen angucke, dann haben die Franzosen ein Median-Vermögen, was noch viel korrekter ist als der Durchschnittswert von 101.000 Euro, Spanien 95.000 Euro, die armen Deutschen hingegen 35.300 Euro. Ich kann mit dem Renteneintrittsalter weitermachen: Die Italiener gehen mit 60,8 Jahren in Rente, die Deutschen sollen demnächst mit 70 in Rente gehen. Nun ist die Frage, wer soll hier mit wem solidarisch sein.“

Frage: Graf Lambsdorff, was antworten Sie Herrn Gottschalk?

Lambsdorff: Man muss Herrn Gottschalk eines ganz klar antworten, dass die Zahlen, die er zitiert, teilweise richtig sind, teilweise sind sie etwas tendenziös. Von einer Rente mit 70 ist, glaube ich, im Moment in der deutschen Debatte nicht die Rede.

Frage: Mit 67 aber.

Lambsdorff: Ja, mit 67. Aber das eine oder andere Desiderat ist, das ist klar. Unterschiedliches Renteneintrittsalter sehen wir auch als FDP kritisch. Das ist aber ein Gegenstand politischer Diskussion. Eines ist vollkommen klar: Deutschland ist die stärkste Volkswirtschaft der Europäischen Union. Wir exportieren und sind stolz darauf, dass unsere Produkte auf der ganzen Welt Abnehmer finden. 60 Prozent unserer Exporte gehen in die Europäische Union. Das heißt, wir haben ein riesiges Interesse daran, dass Staaten, die in diesem Fall durch die Corona-Pandemie unverschuldet in Schwierigkeiten geraten sind, dass diese Staaten auch wieder auf die Beine kommen. Insofern: Das ist hier keine Solidarität im Sinne eines naiven Altruismus, sondern es ist eine Solidarität, die im europäischen, aber auch im deutschen wohl verstandenen Eigeninteresse geübt werden soll.

Frage: Graf Lambsdorff, es besteht zwar keine inhaltliche Verbindung. Dennoch: Dieselbe EU-Kommission, die Deutschland zur Kasse bittet, möchte die Lufthansa entscheidend schwächen. Die Fluggesellschaft soll wichtige Start- und Landerechte abgeben als Gegenleistung für neun Milliarden Euro Staatshilfe. Harte Auflagen gegen Hilfe – wieso geht das bei der Lufthansa und nicht bei Italien, Spanien oder Frankreich?

Lambsdorff: Spanien hat gar keine eigene Airline mehr. Die Iberia gehört zur Britisch Airways.

Frage: Ich meinte jetzt bezogen auf das 750 Milliarden Paket.

Lambsdorff: Ich verstehe, was Sie meinen, Herr Heinemann. Das ist vollkommen klar. – Das kann man in der Sache beantworten und im Verfahren. In der Sache kann ich die Kritik verstehen. Ich halte es auch für fragwürdig, warum man die Lufthansa in einer Phase schwächen muss, in der nahezu alle Airlines wirklich große Probleme haben. Aber im Verfahren kann ich nicht anders, als die Bundesregierung zu kritisieren. Wie kann es denn sein, dass man von diesen Auflagen überrascht wird. Das sind ja Auflagen, die völlig üblich sind, wenn der Staat einsteigt bei Unternehmen, und jede normale Regierung, jedes verantwortungsvolle Verkehrsministerium hätte sich doch vorher mit der Europäischen Kommission in Verbindung gesetzt, um zu klären, was sind denn mögliche Auflagen bei welchen Formen der staatlichen Unterstützung. Air France, KLM beispielsweise hat Kredite bekommen, bei der Lufthansa steigt der Staat als Miteigentümer mit ein. Das sind ganz unterschiedliche Vorgehensweisen. Das heißt, hier sind auch unterschiedliche Reaktionen der Kommission zu erwarten gewesen. In der Sache wie gesagt kann ich die Kritik verstehen. Ich finde es falsch, die Lufthansa zu schwächen. Die Kommission sollte hier grünes Licht geben. Aber dass die Regierung das nicht vorher abgefragt hat – ich frage mich, was Haben Herr Altmaier und Herr Scheuer eigentlich die ganze Zeit gemacht, als die Gespräche liefen.

Frage: Die „Bild“-Zeitung vermutet, der für die Verhandlungen zuständige Generaldirektor Olivier Guersent wolle die Lufthansa schwächen, um der französischen Air France zu helfen. Zurecht?

Lambsdorff: Ich glaube, die Vermutung beruht darauf, dass Herr Guersent Franzose ist. Das halte ich für wenig stichhaltig. Seine Chefin ist Deutsche und ich halte es für wenig zielführend, aus den Staatsangehörigkeiten von Kommissionsbeamten auf politische Motive zu schließen. Die Europäische Kommission – das ist meine Erfahrung der letzten Jahre – ist nicht eine völlig und in jeder Hinsicht zu 100 Prozent und zu jedem Zeitpunkt immer neutrale Behörde, aber dass hier der Generaldirektor einer bestimmten Generaldirektion aufgrund seiner Staatsangehörigkeit sich über die Linie hinwegsetzen kann, die beispielsweise die Kommissionspräsidentin als Deutsche vorgibt, das halte ich für wenig wahrscheinlich. Insofern: Von dieser Spekulation halte ich nichts.

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