Stellv. Fraktionsvorsitzender

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Alexander Graf Lambsdorff
Pressemitteilung

LAMBSDORFF-Interview: Aktionsplan für Ost-Ukraine entwickeln

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab „SWR2“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Mirjam Meinhardt:

Frage: Graf Lambsdorff, viele Ukrainer sehen in Selenskyj offenbar den Hoffnungsträger. Wie hoffnungsvoll sind Sie?

Lambsdorff: Ich bin hoffnungsvoll, dass die Menschen jetzt mit diesem Wahlergebnis gezeigt haben, dass man auch auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion einen friedlichen, demokratischen Wechsel in einer Wahl herbeiführen kann. Das ist natürlich ein positives Signal. Also hier ist auch Petro Poroschenko, der ehemalige Präsident, ja sehr klar gewesen. Er hat gesagt, er akzeptiert das Ergebnis. Also mit anderen Worten, das ist eine Stärkung der Demokratie im postsowjetischen Raum. Das ist gut. Innerhalb der Ukraine, zweiter Punkt, ist allerdings völlig offen, was Selenskyj erreichen kann. Zumal er ja keine eigene Machtbasis hat. Er hat eine Partei, die so gut wie gar nicht existiert. Er hat bisher überhaupt nichts gesagt zu seinen politischen Vorhaben, außer einer im Prinzip richtigen Ansage, die Ukraine weiter nach Westen orientieren zu wollen. Aber was das konkret bedeutet, innen und außenpolitisch, das weiß heute niemand.

Frage: Sie haben es angesprochen, Selenskyj hat bisher keine parlamentarische Mehrheit, weil die Wahlen für das Parlament, die sind erst im Herbst. Jedenfalls sind sie da angesetzt. Was kann denn Selenskyj dann überhaupt bewegen. Also hat er überhaupt irgendeine Chance?

Lambsdorff: Das wird man sehen. Ich glaube, ein ganz wichtiger Punkt ist, dass die Bevölkerung zutiefst enttäuscht war von Poroschenko, der ja sehr wohlhabend ins Amt gestartet ist. Man dachte, der hat es nicht nötig, Korruption zu dulden oder gar zu begehen. Mindestens geduldet hat er in den Augen der Bevölkerung die Korruption allerdings weiterhin. Er hat sich nicht entschlossen genug dagegen gestellt. Es gibt nach wie vor keine wirklichen Verurteilungen von hochrangigen Beamten oder Politikern aufgrund von Korruption und Selenskyj wird an der Frage, glaube ich, in den Augen der Öffentlichkeit an allererster Stelle gemessen werden. Gelingt es ihm, in die korrupten Strukturen auf den mittleren Verwaltungsebenen, in den Gerichten einzudringen und dort für Verbesserungen zu sorgen, ja oder nein.

Frage: Korruption ist ein Stichwort, mit dem Selenskyj Wahlkampf gemacht hat. Jetzt gibt es ja auch Kritiker, die ihm vorwerfen, auch er habe eine Nähe zu dem einen oder anderen Geldgeber. Weil er ja eben auch derzeit keine Machtbasis hat, ist er ja auch auf Unterstützung angewiesen, oder?

Lambsdorff: Das ist richtig und deswegen gilt das, was ich eben gerade gesagt habe. Noch ist alles offen. Ich glaube, dass allerdings dieser Punkt derjenige ist, der im Alltag der meisten Menschen in der Ukraine eine große Rolle spielt. Ich habe deswegen auch gesagt, mittlere und untere Verwaltungsebenen spielen da eine Rolle. Das ist die Polizei vor Ort, das ist das Amtsgericht, das sind die örtlichen Behörden. Also die Frage ist, gelingt es ihm da einen Kulturwandel herbeizuführen. Daran wird er gemessen werden. Dass er Unterstützung braucht, er hat in der Tat einen Oligarchen, mit dem er verbandelt ist. Wie genau ist unklar. Seine Sendung lief auf dessen Fernsehsender. Also, ob das rein geschäftlich war oder ob da mehr ist, auch das wissen wir heute nicht. Klar ist aber, dass für eine erfolgreiche Korruptionsbekämpfung eine zweite Frage beantwortet werden muss und das ist die nach dem Wirtschaftswachstum. Die Ukraine ist heute gemessen an der Wirtschaftsleistung pro Kopf der Bevölkerung das ärmste Land Europas. Dabei ist es ein Land mit einem riesigen Potential, also mit anderen Worten, das muss geschafft werden, das eine muss geschafft werden, damit das andere erreicht werden kann.

Frage: Der zweite Punkt ist der Krieg in der Ost-Ukraine. Den will er beenden. Er setzt weiter auf den Minsker Friedensprozess, das Normandie-Format. Welche Chancen sehen Sie denn hier?

Lambsdorff: Nach den Äußerungen, die aus Moskau gestern zuhören waren, bin ich da sehr zurückhaltend. Es wird Selenskyj nicht gelingen, in Eigenregie den Krieg in der Ostukraine zu beenden. Aus Moskauer Sicht ist der zukünftige außenpolitische Kurs der Ukraine entscheidend. Man will das, was man im Kalten Krieg die „Finnlandisierung“ nannte, also ein neutrales Land, das sehr genau auf die Interessen Russlands achtet, diese auch in seinen politischen Prozessen berücksichtigt. Und so lange Selenskyj nicht deutlich macht, dass er da bereit ist auf Moskau zuzugehen, wird Moskau auch nicht auf Selenskyj zugehen und in der Ost-Ukraine oder gar auf der Krim irgendwelche Schritte in Richtung Kiew machen. Aus Sicht Moskaus ist im Grund nicht so entscheidend, wer Präsident der Ukraine ist. Aus der Sicht Moskaus ist entscheidend, wie sich die Ukraine als Nachbarland verhält. Das ist Geopolitik, nicht Personalpolitik.

Frage: Immerhin spricht Selenskyj aber ja von Zugeständnissen, die man gegenüber Russland machen müsse. Als von daher sieht es schon bisschen eher so aus, als wäre man da bereit, ein bisschen mehr auf Russland zuzugehen, oder?

Lambsdorff: Na ja, die Ukraine ist eine Demokratie, das schließt auch eine Kontrolle des Präsidenten durch das Parlament ein. Poroschenko hat es beispielsweise nie geschafft, die Änderung des territorialen Status von Donezk und Lugansk hinzubekommen. Nach den Parlamentswahlen im Oktober hat man ein neue Rada, ein neues ukrainisches Parlament. Wenn es dann dort eine Mehrheit dafür gibt, Kompromisse einzugehen, dann könnte das gelingen. Allerdings ist es noch zu früh, das zu sagen. Mit dem aktuellen Parlament sehe ich nicht, wie er diese Aussage in die Tat umsetzen will.

Frage: Sehen Sie denn irgendwelche Möglichkeiten von Seiten Deutschlands oder der EU, diesen Friedensprozess in der Ost-Ukraine irgendwie zu unterstützen?

Lambsdorff: Ja definitiv. Ich glaube, was wir jetzt machen müssen, wäre das Minsker Abkommen sich noch einmal genau anzuschauen und dann zu gucken, wo geht denn ganz konkret was. Also beispielsweise einen Aktionsplan zum Minsker Abkommen zu verabschieden, in dem die Frage der Blauhelm-Mission noch einmal thematisiert wird. Da gibt es unterschiedliche Ansichten. Die Frage des Gefangenenaustausches, die Frage der praktischen Umsetzung des Rückzugs schwerer Waffen von der Kontaktlinie, die ungehinderte Arbeit der OSZE-Beobachter-Mission. Es gibt eine ganze Reihe von Punkten, an denen man ansetzen kann mit einem solchen Aktionsplan. Und deswegen wäre es aus unserer Sicht richtig, die Bundesregierung Deutschland würde gemeinsam mit Frankreich jetzt einen solchen Aktionsplanzu entwickeln, vorschlagen und diesen mit Moskau und Kiew besprechen.

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