KUBICKI-Interview: Wir müssen Schluss machen mit der Isolation alter Menschen
Das FDP-Fraktionsvorstandsmitglied Wolfgang Kubicki gab „rnz.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Andreas Herholz:
Frage: Herr Kubicki, erschreckende Bilder kommen aus den USA. Die Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus weiten sich aus. Drohen dort jetzt bürgerkriegsähnliche Zustände?
Kubicki: Diese Eskalation ist besorgniserregend. Der amerikanische Präsident trägt mit seinen Kommentaren dazu bei, dass sich die Lage weiter verschärft. Wer linke Demonstranten pauschal zu Terroristen erklärt, muss sich nicht wundern, dass immer mehr Menschen auf die Straße gehen. Die Polizeigewalt in den USA gegen Schwarze ist nicht nur Statistik. Sie ist erschreckend real und leider immer wieder zu beobachten. Jetzt wäre es eigentlich wichtig, zu beruhigen. Der Präsident macht das genaue Gegenteil.
Frage: Wo bleibt eine klare Reaktion der Bundesregierung?
Kubicki: Eine Reaktion der Bundesregierung ist notwendig und überfällig. Sie sollte den amerikanischen Präsidenten offen auffordern, zur Deeskalation beizutragen und diese Gewalt zu stoppen. Die Proteste schwappen bereits nach Europa und nach Deutschland über. Auch hier gibt es Demonstrationen und wir können nur hoffen, dass nicht auch noch Gewalt hinzukommt.
Frage: Themawechsel: In Deutschland wird der Ruf nach einer vollständigen Aufhebung der Corona-Beschränkungen immer lauter. Ist es jetzt an der Zeit dafür?
Kubicki: Es wäre verfrüht, die Beschränkungen bereits ganz aufzuheben. Großveranstaltungen, Volksfeste oder die Öffnung von Clubs – damit muss man sicher noch warten. Aber in anderen Bereichen sollten wir die Einschränkungen beenden. Warum sollen Restaurants um 22 Uhr schließen? Infektionsrechtlich ist das schwer zu erklären. Wir müssen auch das Vereinsleben wieder starten. Insgesamt müssen wir wieder schrittweise in den Normalzustand zurück.
Frage: Haben Bund und Länder Fehler gemacht? Waren die Beschränkungen übertrieben?
Kubicki: Wir werden irgendwann die Frage klären, ob die Kitas und Schulen wirklich geschlossen werden mussten. Die wirtschaftlichen und psychosozialen Folgekosten sind jedenfalls immens. Wir müssen jetzt auch Schluss machen mit der Isolation vieler alter und kranker Menschen in Alten- und Pflegeheimen, was noch immer mancherorts passiert. Sie müssen wieder Kontakt mit ihren Angehörigen haben dürfen. Sie leiden unter der Einsamkeit. Diese Entmündigung muss ein Ende haben. Auch alte Menschen sind Grundrechtsträger. Freiheitsentziehende Maßnahmen können nur aufgrund richterlicher Anordnungen stattfinden. Bayern hat fünfmal höhere Infektionszahlen als Schleswig-Holstein. In Regionen mit keinen Neuinfektionen sind die Beschränkungen nicht mehr zu rechtfertigen.
Frage: Die Große Koalition will ein Konjunkturpaket schnüren. Wie sollte das aus Sicht der FDP aussehen?
Kubicki: Da wird Geld mit der Gießkanne ausgeschüttet. Man merkt, dass der Bundestagswahlkampf näher rückt. Die Große Koalition will Geschenke verteilen, das wird uns allerdings wirtschaftlich kaum weiterhelfen. Solange die Menschen Angst vor der Pandemie und dem Virus haben, werden sie auch weniger konsumieren. Da helfen keine Kaufprämien für Autos, die ohnehin völlig kontraproduktiv sind.
Frage: Sehen Sie noch Chancen für eine Wahlrechtsreform, um eine weitere deutliche Vergrößerung des Bundestages zu vermeiden?
Kubicki: Die Wahrscheinlichkeit, dass es noch eine Wahlrechtsreform geben wird, geht gegen Null. Ab 24. Juni beginnt die Aufstellung der Kandidaten für den nächsten Bundestag. Danach wird eine Wahlrechtsänderung kaum mehr möglich sein. Die Große Koalition hat in der vergangenen Woche bereits die Größe der Wahlkreise festgelegt und sich davon verabschiedet, den Bundestag zu verkleinern.
Frage: Die FDP kann von der Krise nicht profitieren, lag zuletzt an der Fünf-Prozent-Hürde. Warum kämpfen die Liberalen wieder einmal um ihre Existenz?
Kubicki: Meinungsumfragen sind sehr volatil, die letzte Umfrage sieht uns bei acht Prozent. Wenn es jetzt darum geht, wie wir wieder aus dem Lockdown herauskommen, wird die FDP wieder dazugewinnen. Ich bin mir sicher, dass wir im kommenden Jahr das 2017er Bundestagswahlergebnis von 10,7 Prozent wieder übertreffen werden.