DÜRR-Interview: Wir wollen die kalte Progression beseitigen
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab der „Augsburger Allgemeinen“ (Montagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Christian Grimm:
Frage: Herr Dürr, die FDP ist in keiner einfachen Lage. Die zurückliegenden drei Landtagswahlen brachten deprimierende Ergebnisse für die Liberalen. Woran liegt das?
Dürr: Also zunächst einmal zu Nordrhein-Westfalen: Das ist eine bittere Wahlniederlage. Und als Partei der Eigenverantwortung sucht man die Fehler nicht bei anderen, sondern bei sich selbst. Wir haben insbesondere bei älteren Wählern verloren. Wir haben unsere Angebote für sie nicht gut herausgearbeitet. Im Koalitionsvertrag steht ganz viel über die sichere Rente der Zukunft, was wir durchgesetzt haben.
Frage: Sie spielen auf den Einstieg in die kapitalgedeckte Rente an?
Dürr: Ja, genau. Von der Kapitaldeckung profitieren die kommenden Altersgenerationen, aber auch die, die schon Rente beziehen. Denn die große Sorge wäre ja, dass die Renten nicht mehr steigen können aber stattdessen die Beiträge in die Höhe gehen. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir in einer alternden Gesellschaft leben. Es gibt weniger junge Menschen, die die Rente für die Älteren erarbeiten. Aber man wird die Jüngeren nicht unendlich belasten können. Gute Renten wird es auch nur geben, wenn wir viel mehr Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland holen. Wir reden nicht von der Zuwanderung in die Sozialsysteme, sondern von Leuten, die hart arbeiten. Das ist ebenfalls ein großes Projekt der Ampel-Regierung, das den Älteren zugutekommt, weil wieder mehr Beschäftigte in die Rentenkasse einzahlen.
Frage: Der Parteienforscher Jürgen Falter hat nach der NRW-Wahl behauptet, die FDP sei für ihre Corona-Politik abgestraft worden, die auf Lockerungen gesetzt hat. Corona ist vor allem für ältere Menschen eine ernsthafte Gefahr. Hat Falter recht?
Dürr: Ich glaube, da ist nicht so viel dran. Schauen Sie, wenn Deutschland heute den chinesischen Weg ginge und die Leute wieder in den Lockdown schickte, das würde doch keiner mehr mitmachen. Ganz Europa ist den Weg gegangen, den auch wir gegangen sind. Was mir wichtig ist: Die Partei der Freiheit kann nicht ruhig danebenstehen, wenn fundamentale Freiheitsrechte einfach außer Kraft gesetzt werden und das auch noch auf Vorrat. Das geht einfach nicht. Und wenn wir uns jetzt Ende Mai die Corona-Lage anschauen, dann war es ja die absolut richtige Entscheidung. Es wäre geradezu absurd, wenn wir jetzt noch den Einschränkungs-Katalog hätten, den ursprünglich einige CDU-Ministerpräsidenten beibehalten wollten.
Frage: Corona kommt aber wahrscheinlich im Herbst zurück.
Dürr: Richtig und darauf werden wir uns vorbereiten. Impfdosen werden bereitstehen und wir müssen bis dahin so weit sein, dass die Fax-Ära in den Gesundheitsämtern vorbei ist. Corona wird dauerhaft bleiben. Wir müssen lernen, damit zu leben. Die Leute einzuschließen, kann nicht die Antwort einer freien Gesellschaft sein.
Frage: Eine andere Erklärung für das schwache Abschneiden der FDP ist, dass Ihr Finanzminister Christian Lindner zum Schuldenmacher geworden ist und sich deshalb Stammwähler scharenweise abwenden.
Dürr: Ich will meine Antwort mal zweiteilen. Das eine ist die aktuelle Situation. Wir machen zurzeit Schulden und das alles andere als gerne. Aber wenn Sie es zum Beispiel auf die 100 Milliarden für die Bundeswehr beziehen, dann müssen wir viel nachholen, was in der Vergangenheit von der Union verschlafen wurde. Und ich will Ihnen sagen, dass wir als FDP überbordende Schulden verhindert haben. Ich war selbst bei den Beratungen über den Haushalt dabei, die wir gerade abgeschlossen haben. Ohne uns wären Dutzende Milliarden mehr hinzugekommen.
Frage: Und im nächsten Jahr werden Sie die Schuldenbremse wirklich einhalten?
Dürr: Das ist das Zweite. Ab dem 01. Januar 2023 werden wir die Schuldenbremse wieder einhalten. Das erfordert sehr viel Haushaltsdisziplin und auch sehr viel Disziplin von Seiten der Politik. Aber das ist unser Beitrag als Liberale. Machen wir uns gar nichts vor: Wenn die Große Koalition noch regieren würde, dann würde die Schuldenbremse wahrscheinlich gar nicht wieder in Kraft gesetzt. Und wenn SPD und Grüne ohne uns regieren würden, wäre das genauso. Und das ist der Unterschied, den die FDP macht.
Frage: Ist das Ihr zentrales Versprechen an die Wähler? Soll solide Finanzpolitik der Anker sein, den die Menschen mit die FDP verbinden?
Dürr: Ja. Und wir bleiben ja nicht bei der drastischen Senkung der Neuverschuldung. Wir haben den Menschen auch versprochen, dass es keine Steuererhöhungen gibt. Das halten wir. Stattdessen entlasten wir sogar. Gerade vergangene Woche haben wir das im Bundestag beschlossen. Der Grundfreibetrag bei der Einkommensteuer steigt und auch der Pauschalbetrag – und zwar rückwirkend zum 01. Januar dieses Jahres. Der Einzelne hat dadurch mehrere Hundert Euro mehr zur Verfügung. Das, glaube ich, zeigt das Profil der FDP auch in dieser Koalition und von daher machen wir da schon einen Unterschied, auch wenn das jetzt natürlich durch den Krieg in den Hintergrund getreten ist.
Frage: Die Steuerschätzer haben dem Finanzminister eine schöne Vorhersage gemacht. Bund und Länder werden dieses und in den folgenden Jahren jeweils rund 40 Milliarden Euro mehr einnehmen. Der FDP stünde es doch gut zu Gesicht, die Steuern zu senken.
Dürr: Wir wollen die kalte Progression beseitigen. Der Staat darf nicht davon profitieren, wenn wegen der Inflation die Löhne zwar stärker steigen, aber die Leute am Ende weniger davon haben. Die FDP würde natürlich die Steuern gerne darüber hinaus senken. Aber wir sind Teil einer Koalition. Unsere beiden Partner Grüne und SPD hatten im Wahlkampf sogar mit höheren Steuern um Stimmen gekämpft. Dass sie eingeführt werden, konnten wir verhindern.
Frage: Am Freitag wurde nach Krach mit den Ländern das 9-Euro-Ticket eingeführt. Vom Tankrabatt, den die FDP durchgesetzt hat, war nichts weiter zu hören. Kommt er überhaupt noch? Die Grünen lehnen den eigentlich ab.
Dürr: Der Tankrabatt kommt zum ersten Juni zeitgleich mit dem 9-Euro-Ticket. Darauf kann man sich auch verlassen. Beides ist auf drei Monate befristet. Die Pendler hatten in den letzten Monaten erhebliche Mehrkosten zu schultern und verdienen Entlastung.