DÜRR-Interview: Wir brauchen jetzt Steuerentlastungen
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab der „Rheinischen Post“ (Freitagsausgabe) und „rp-online.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Jan Drebes und Birgit Marschall:
Frage: Herr Dürr, wie gefällt Ihnen Robert Habeck von den Grünen als Wirtschaftsminister?
Dürr: Die Frage ist doch nicht, wie ich Robert Habeck in seinem Amt bewerte, sondern ob wir in den letzten 24 Monaten als Ampel die richtigen wirtschaftspolitischen Entscheidungen getroffen haben. Und da sage ich ganz klar: Ja! Und aktuell sagt auch Habeck: Wir brauchen Entlastungen für unsere Unternehmen. Die Union dagegen blockiert mit dem Wachstumschancengesetz sogar Entlastungen. Da ist mir jemand wie Habeck lieber als jemand, der im Bundesrat einfach Nein zu jeder Entlastung sagt.
Frage: Laut Umfragen ist die Steuerlast gar nicht das größte Standortproblem der Wirtschaft. Viel problematischer sind Bürokratie, Fachkräftemangel, Überregulierung. Warum packt die Ampel da am falschen Ende an?
Dürr: Das stimmt doch gar nicht! Wir bekämpfen den Fachkräftemangel mit dem modernen Einwanderungsgesetz, das Migration in den Arbeitsmarkt lenkt. Mit der Kraftwerksstrategie sichern wir die Energieversorgung. Mit dem geplanten Bürokratie-Entlastungsgesetz sorgen wir für den größten Bürokratieabbau seit Beginn der Aufzeichnungen in der Bundesrepublik. Die Wirtschaft führt aber auch immer wieder an, dass die Investitionsbedingungen etwa in den USA mit den großzügigen Steuerrabatten des Inflation Reduction Act (IRA) viel besser sind als bei uns.
Frage: Genau das will doch Robert Habeck auch für Deutschland: Steuerrabatte für die Wirtschaft mit Schulden finanzieren durch ein kreditfinanziertes Sondervermögen. Warum ist die FDP so vehement dagegen?
Dürr: Jede Schuldenaufnahme ist eine Steuererhöhung von morgen. Das schafft kein Vertrauen in den Standort Deutschland …
Frage: … die USA machen es mit dem IRA doch im großen Umfang vor. Warum ist die Schuldenfinanzierung dort richtig, aber bei uns falsch?
Dürr: Ich halte die Schuldenfinanzierung auch in den USA für falsch, weil sie jetzt mit einer Schuldenquote von 122 Prozent der Wirtschaftsleistung in eine Dimension kommen, die auch für die USA problematisch werden könnte. Allerdings sind sie als größte Volkswirtschaft der Erde und Heimat der Weltleitwährung am internationalen Kapitalmarkt nicht so angreifbar wie Deutschland oder die Euro-Zone.
Frage: Die FDP will den Soli komplett abschaffen. Wie wollen Sie die Einnahmeausfälle ohne neue Schulden gegenfinanzieren?
Dürr: Der Staat hat kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem. Wir sind bei den Unternehmenssteuern nicht wettbewerbsfähig, in den USA etwa liegen sie um ein Drittel niedriger. Wir können das nicht komplett ausgleichen, aber wir sollten uns in die Richtung bewegen. Und da ist die Abschaffung des sogenannten Rest-Solis das Mittel der Wahl, den vor allem die Unternehmen bezahlen. Ich will mich nicht mehr bei Steuersenkungen auf die Union verlassen müssen, sondern etwas machen, was wir alleine entscheiden können in der Koalition. Wir brauchen die Union im Bundesrat dafür nicht. Und die Soli-Abschaffung würde sofort und direkt wirken.
Frage: Aber wie wollen Sie die zwölf Milliarden Euro Mindereinnahmen pro Jahr gegenfinanzieren?
Dürr: Wir können die Soli-Abschaffung auch in Schritten machen. Ich schlage vor, dass wir den Solidaritätszuschlag in mehreren Jahresschritten abschmelzen. Wir sollten schnellstmöglich damit beginnen. Wir brauchen jetzt Steuerentlastungen auf breiter Front, nicht nur bei den Unternehmen, sondern auch bei den Leistungsträgern.
Frage: Was brauchen wir darüber hinaus, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen?
Dürr: Wir müssen zunächst mal als Ampel viel deutlicher machen, dass wir uns längst auf den Weg gemacht haben, das Land zu erneuern. Der Union werfe ich vor, dass sie wichtige Schritte allein aus parteitaktischen Gründen blockiert, siehe die Steuerentlastungen für die Unternehmen beim Wachstumschancengesetz. Wir brauchen eine Deutschland-Agenda und die Union darf das nicht länger blockieren.
Frage: SPD und Grüne wollen mehr neue Schulden machen, sei es durch Sondervermögen oder das Aussetzen der Schuldenbremse. Wann ist für Sie der Punkt erreicht, dass die FDP dem zustimmen könnte?
Dürr: Das steht doch im Grundgesetz: Sobald ein größeres Unglück passiert, eine Naturkatastrophe etwa, die dazu führt, dass der Bund praktisch zahlungsunfähig wird, kann man die Schuldenbremse aussetzen. Die Schuldenbremse ist wie eine Versicherung. Die benutzt man nur dann, wenn der Notfall eingetreten ist, nicht schon vorher. Die Unterstützung der Ukraine ist in diesem Jahr mit 7,5 Milliarden Euro veranschlagt. Das ist bei einem Haushaltsvolumen von rund 477 Milliarden kein Notfall.
Frage: Definieren Sie doch mal, wann für Deutschland im Ukraine-Krieg der Punkt erreicht wäre, sodass das Aussetzen notwendig würde!
Dürr: Darüber will ich im Detail nicht spekulieren. Aber klar ist: Die Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen müssten so dramatisch sein, dass der Staat seinen gesetzlichen Aufgaben nicht mehr nachkommen kann.
Frage: Der Bundeskanzler reist in dieser Woche nach Washington und trifft US-Präsident Joe Biden. Hoffen Sie, dass er darauf hinwirken kann, dass die USA weiterhin wichtigster Unterstützer der Ukraine bleiben?
Dürr: Natürlich ist es richtig, dass der Bundeskanzler mit dem US-Präsidenten darüber spricht, wie es gelingen könnte, die Fortsetzung der Ukraine-Hilfen sicherzustellen. Es ist in unserem sicherheitspolitischen Interesse, dass die Ukraine den Krieg gewinnt. Aber wir müssen uns auf alle Eventualitäten in der US-Politik vorbereiten. Auch darauf, dass die USA ihre Hilfe für die Ukraine stoppen könnten, wenn es eine entsprechende Entscheidung im Kongress gibt oder Donald Trump die Präsidentschaftswahl gewinnt.
Frage: Dann müsste Deutschland die Schuldenbremse aussetzen und massiv mehr Hilfe leisten?
Dürr: Noch einmal: Das sehen wir dann. Ich kann offen gestanden nicht verstehen, warum jeden Tag aufs Neue nach einer Begründung zur Aussetzung der Schuldenbremse gesucht wird.
Frage: Sind Sie dafür, dass Deutschland Marschflugkörper vom Typ Taurus an die Ukraine liefert?
Dürr: Ich habe bereits mehrfach deutlich gemacht, dass ich für eine solche Lieferung bin. Die Ukraine kann diese Waffe sehr gut in ihrem Verteidigungskampf gegen die russischen Angreifer gebrauchen.
Frage: Ihre Parteifreundin und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat einen Antrag im Bundestag in Aussicht gestellt, um über eine Lieferung abstimmen zu lassen. Würden Sie einen solchen Antrag als gesamte FDP-Fraktion stützen?
Dürr: Ich hielte es für sinnvoll, dass wir als Koalitions-Fraktionen gemeinsam einen solchen Antrag einbringen und im Bundestag über Taurus-Lieferungen an die Ukraine abstimmen lassen.
Frage: In der Ampel gab es zuletzt Streit, weil Finanzminister Christian Lindner die Kinderfreibeträge erhöhen will, nicht aber das Kindergeld. Wie geht es da jetzt weiter?
Dürr: Das ist ganz einfach. Die Freibeträge werden erhöht, weil zuletzt das Kindergeld deutlich gestiegen ist. So ist es vereinbart.
Frage: Die Freibeträge sind bereits gestiegen zum 1. Januar.
Dürr: Ja, aber es geht um das Verhältnis zum Kindergeld. Und da gibt es noch eine Unwucht zulasten der Freibeträge. Sie müssen also noch nach oben angepasst werden.
Frage: Wann soll das geschehen?
Dürr: Diese Entlastung für Familien sollten wir so schnell wie möglich umsetzen.
Frage: Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke von der SPD hat die Bürgergelderhöhungen kritisiert und bei der nächsten Runde gar eine Kürzung ins Gespräch gebracht. Hat er recht?
Dürr: Wie das Bürgergeld angepasst wird, liegt nicht in unseren Händen. Die Berechnung ist ein Erbe der letzten Merkel-Regierung und fußt zudem auf einem Urteil des Verfassungsgerichts. Das Bürgergeld ist deswegen so stark gestiegen, weil die Inflation hoch war.
Frage: Und wenn sie wieder sinkt?
Dürr: Wenn die Inflation erwartungsgemäß zurückgeht in den nächsten Monaten und Jahren, wird es beim Bürgergeld auf absehbare Zeit Nullrunden geben, bis der Abstand zum Lohnniveau der arbeitenden Bevölkerung angemessen ist. Kürzungen sind beim Bürgergeld – wie bei der Rente – nicht möglich.
Frage: Die FDP fällt immer häufiger durch Blockaden von Ampel-Gesetzen auf nationaler Ebene und durch Querschüsse in der EU auf. Ist das Ihre Strategie, um in den Umfragen endlich wieder zuzulegen?
Dürr: Nein, das hat mit Umfragewerten nichts zu tun. Die FDP steht für ihre Überzeugungen ein. In Berlin und in Brüssel. Wir sind die einzige Partei in Deutschland, die den Kampf gegen Bürokratie wirklich ernst nimmt. Wir haben einen Ampel-Beschluss, der ein Belastungsmoratorium für die Wirtschaft versprochen hat. Daran halten wir uns als FDP, das ist die Richtschnur. Ich bin gerne bereit, mich von morgens bis abends dafür kritisieren zu lassen, wenn es sein muss. Meine Richtschnur ist, alles zu verhindern, was uns wirtschaftlich schwächt und alles dafür zu tun, was uns wirtschaftlich voranbringt.
Frage: Auch wenn es bedeutet, dass der Rückhalt für Ihre Partei weiter schwindet und Sie bei der nächsten Wahl wieder aus dem Bundestag fliegen könnten?
Dürr: Wir machen keine Politik nach Umfragewerten. Die FDP hat ein klares Programm, das darauf ausgelegt ist, unsere Wirtschaft wettbewerbsfähig zu halten. Wir legen ein Veto ein, wenn Gesetze zu mehr Bürokratie führen.
Frage: Aber es geht ja nicht bei allen FDP-Blockaden um die Vermeidung von Bürokratie.
Dürr: Ganz viele Gesetzesvorhaben der EU, über die in Deutschland gesprochen wird, klingen zunächst richtig. Wenn wir aber aus bestimmten Überzeugungen heraus dagegen halten, sind wir auf einmal der Buhmann. Das ist mir zu undifferenziert, diese Rolle nehme ich nicht an. Uns in der FDP geht es um Auseinandersetzung in der Sache, nicht um parteitaktische Blockaden für die nächste Wahl.
Frage: Also wird es bis zur Bundestagswahl einen schwelenden Dauerstreit in der Ampel geben?
Dürr: Für mich zählen die Ergebnisse, nicht der Weg dorthin. Ich halte es für richtig, auch Konflikte mit Koalitionspartnern einzugehen, wenn dadurch am Ende ein besseres Gesetz herauskommt. Harmonie sollte in einer Demokratie kein Selbstzweck sein, mit dem Entscheidungen zugunsten der Menschen und Unternehmen unterbunden werden. Die Vorgängerregierungen unter CDU-Kanzlerin Angela Merkel haben deswegen viele Reformen liegen lassen.
Frage: Also wollen Sie lieber eine Neuauflage der Ampel als Schwarz-Gelb nach der nächsten Wahl?
Dürr: Das entscheiden die Wähler. Daher finde ich es absurd, wenn sich Politiker wie CDU-Chef Friedrich Merz jetzt mit Koalitionsoptionen für die Zeit nach Herbst 2025 beschäftigen.