DÜRR-Interview: Inflationsausgleichsgesetz würde 48 Millionen Menschen entlasten
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab der „Braunschweiger Zeitung“ (Mittwochsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Andre Dolle.
Frage: Spitzen-Grüne geben angesichts der Energie-Krise Tipps zum Duschen. Duschen Sie täglich?
Dürr: Ja, ich dusche täglich. Der Waschlappen-Appell von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann jedoch war herablassend. Spitzenpolitiker sollten es unterlassen, den Menschen vorzuschreiben, ob sie duschen oder sich besser mit dem Lappen waschen sollten, um Energie zu sparen. Sie sollten es lassen, in die Privatsphäre der Menschen hineinzuregieren.
Frage: Die Grünen sind auch Ihre härtesten Gegner in der Ampel-Koalition, wenn es darum geht, die Laufzeit der drei verbliebenen AKW zu verlängern – eins davon in Lingen in Niedersachsen. Steuern wir nach der Gaskrise auch auf eine Stromkrise zu?
Dürr: Die Stromkrise ist leider schon da. Sie betrifft die privaten Haushalte in Deutschland, aber auch die mittelständischen Unternehmen.
Frage: Was muss passieren?
Dürr: Wir müssen angesichts der steigenden Strompreise alles dafür tun, damit mehr Kapazität am Markt ist. Es ist daher falsch, die AKW Ende des Jahres vom Netz zu nehmen. Ein Gigawatt Leistung hat in Deutschland einen preisdämpfenden Effekt von vier Milliarden Euro bei den Strompreisen. Die drei Kernkraftwerke, die noch am Netz sind, leisten vier Gigawatt. Das wären also 16 Milliarden Euro Entlastung für die Bürger und Unternehmen.
Frage: Andererseits geht es um Risiken. Die drei AKW erzeugen auch nur sechs Prozent der gesamten Stromerzeugung in Deutschland.
Dürr: Wir reden aber von volkswirtschaftlich höchst relevanten Zahlen. Mir gefällt diese Rechnung nicht gut, denn es kommt darauf an, dass der Strom zur Verfügung steht. Im Winter scheint die Sonne weniger, teilweise weht auch der Wind weniger. Ich habe die große Sorge, dass die Strompreise ohne die drei AKW noch weiter steigen. Wir sind aber ja nicht untätig. Das Kohlekraftwerk Mehrum bei Peine produziert wieder Strom, wir importieren Frackinggas aus den USA. Da wäre es sehr merkwürdig, wenn wir die CO2-freien AKW zum 31. Dezember abschalten.
Frage: Wie wäre es mit einem Deal? Die Grünen tragen längere Laufzeiten für die Atomkraftwerke mit – und die FDP lässt sich im Gegenzug auf ein befristetes Tempolimit ein.
Dürr: Das wäre von vornherein als Kuhhandel markiert und würde die Menschen veräppeln. Nur zwei Prozent der Autofahrer fahren schneller als Tempo 160. Es wäre wesentlich klüger, intelligente Verkehrsbeeinflussung zu nutzen.
Frage: Warum sperrt sich die FDP gegen ein Tempolimit? Es würde dazu beitragen, sehr viel Benzin und damit Energie zu sparen.
Dürr: Leider ist das nicht der Fall. Was uns als FDP vorliegt, zeigt das nicht. Viele Autofahrer verhalten sich schon sehr bewusst. Dieser Deal wäre ein reiner Kuhhandel, auf den sich die FDP nicht einlassen wird. Wir haben beim Gas und zunehmend auch beim Strom Probleme, da würde ein Tempolimit nichts bringen. Die Bürger verhalten sich sehr vernünftig, da braucht es keinen staatlichen Oberlehrer.
Frage: Die FDP sperrt sich gegen eine Übergewinnsteuer für Krisengewinner wie die Mineralölkonzerne. Warum?
Dürr: Eine allgemeine Steuer auf hohe Gewinne würde auch hochinnovative Unternehmen wie Biontech treffen, die uns durch die Corona-Pandemie gebracht haben. Es würde die Erneuerbaren massiv treffen. Die Branche macht gerade ordentlich Gewinne. Italien beschränkt sich auf bestimmte Produkte und wälzt die Steuer so auf die Verbraucher ab. Wir würden also innovative Firmen aus dem Land treiben, andererseits würden die Verbraucher die Zeche zahlen. Ich kann da nichts Gutes dran finden.
Frage: Es ist nicht nur Italien, das diesen Weg geht. Zahlreiche Regierungen von Industrienationen, darunter Großbritannien, gehen erfolgreich genau diesen Weg. So falsch kann er nicht sein.
Dürr: Ich bestreite, dass dieser Weg erfolgreich ist. Das Parlament in Frankreich hat gerade beschlossen, diesen Weg nicht zu gehen. Großbritannien hat wirtschaftliche Pfade eingeschlagen, die nicht erfolgreich sind – zum Beispiel den Brexit. Die Unternehmenssteuern sind in Großbritannien übrigens deutlich geringer als in Deutschland. So gesehen haben wir schon eine Übergewinnsteuer.
Frage: Mitten in einer Zeit, in der private Haushalte vor neuen Belastungen stehen, lehnt Finanzminister Lindner eine Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze ab. Warum?
Dürr: Die Hartz-IV-Sätze werden automatisch an die Inflation angepasst. Es ist wichtiger denn je, die Menschen, die einen harten Arbeitstag haben und morgens aufstehen, zu entlasten. Sie müssen mehr haben von dem, was sie verdienen. Durch die Inflation drohen weitere Steuerbelastungen. Deshalb hat Christian Lindner richtigerweise den Vorschlag gemacht, ein Inflationsausgleichsgesetz zu schaffen. Das würde 48 Millionen Menschen entlasten. Wir reden hier von ganz normalen Familien aus der Mittelschicht. Bei Leistungsbeziehern übernimmt der Staat ohnehin die kompletten Heizkosten. Das ist bei einer Familie der Mittelschicht nicht der Fall.
Frage: SPD und Grüne sehen das anders. Gerade auch viele Menschen mit niedrigen Einkommen oder kleinen Renten haben keine Reserven. Was ist mit denen?
Dürr: Alle, die arbeiten, müssen entlastet werden. Das betrifft also auch die mittleren und kleineren Einkommen. Rentner und Menschen mit kleinen Einkommen bekommen zum Teil das Wohngeld. Da reden wir gerade über eine Reform. Die Wohngeldbezieher bekommen deshalb richtigerweise auch den Heizkostenzuschuss. Der Staat wird aber leider nicht alles ausgleichen können. Wir müssen alles dafür tun, damit die Situation nicht dramatisch wird – deshalb mein Plädoyer für die längere Laufzeit der AKW.
Frage: Die FDP bezeichnet ihren umstrittenen Tankrabatt als Erfolg. Wie kann man zu diesem Ergebnis kommen?
Dürr: Ohne den Tankrabatt und die anderen Maßnahmen wäre die Inflation zwei Prozentpunkte höher als ohnehin schon. Der Vergleich mit Frankreich oder den Niederlanden zeigt, dass der Tankrabatt bis zu 100 Prozent weitergegeben wurde.
Frage: Analysen des ADAC hingegen zeigen, dass gerade in den ersten Wochen der Tankrabatt von den Konzernen nicht weitergegeben worden ist.
Dürr: In den ersten Wochen war an den Tankstellen das vergünstigte Benzin noch nicht vorhanden. Das ist erst langsam in die Tanks gekommen. Der Tankrabatt ist weitergegeben worden, deshalb ist die Kritik ja auch verebbt. Der Rabatt hat Millionen von Pendlern geholfen.
Frage: Das 9-Euro-Ticket ist ein Erfolg. Warum bügelte Christian Lindner das Ticket barsch als Ausdruck einer verwerflichen „Gratismentalität“ ab?
Dürr: Er hat zum Beispiel Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil kritisiert, der ein dauerhaftes, vergünstigtes Ticket gefordert hat. Finanzieren müssten es aber die Länder. Am Ende müsste Weil dann in den kommenden Tagen verkünden, dass die Unterrichtsversorgung weiter sinken wird, weil er kein Geld mehr für Schulen hat. Das zeigt nur, dass er mit Geld nicht umgehen kann. Der eigentliche Erfolg des Tickets ist, dass es einheitlich ist. Wir haben viel zu viele Verkehrsverbünde und Tarifzonen. Da müssen wir ran. Da sind die Länder in der Pflicht.
Frage: Dennoch bedient die FDP so das alte Vorurteil, sie sei eine Partei der Besser- und Bestverdienenden. Rückenwind für die FDP in Niedersachsen vor der Landtagswahl am 9. Oktober sieht anders aus, oder?
Dürr: Im Gegenteil. Wäre es denn wirklich sozial gerecht, den jungen Menschen Bildungschancen zu verwehren, damit wir fast einen Gratis-ÖPNV haben? Die Große Koalition in Hannover lässt Kinder und Jugendliche schulpolitisch im Stich. Niedersachsen ist bei den Bildungschancen schon jetzt weit nach hinten gefallen. Als die FDP noch mitregiert hat, war das anders.
Frage: Wo sehen Sie als alter FDP-Fraktionschef im Landtag denn weitere Mängel der Regierung Weil?
Dürr: Als die FDP in Verantwortung war, haben wir die Schulabbrecher-Quote halbiert. Bei der Unterrichtsversorgung hatten wir mehr als 100 Prozent. Das ist ja leider alles Geschichte, seit Stephan Weil in Niedersachsen regiert. Wir waren damals mit Blick auf das Wirtschaftswachstum sogar teilweise vor den Bayern. Das ist auch Geschichte. Niedersachsen ist eigentlich ein sehr starkes Bundesland, es ist nur sehr schlecht regiert.
Frage: Was würde die FDP in Niedersachsen besser machen?
Dürr: Wir würden bei der Unterrichtsversorgung nachsteuern. Die SPD hat versprochen, dass jeder Schüler ein Tablet erhält. Bisher hat die Partei das nicht eingehalten und verspricht es für die Zeit nach der Wahl. Es soll wohl davon ablenken, dass hinter dem Tablet gar kein Klassenlehrer mehr steht.
Frage: In Umfragen liegt die FDP in Niedersachsen allenfalls bei bis zu 7 Prozent – auch im Bund, obwohl es bei der Bundestagswahl 11,5 Prozent waren. Was ist drin bei der Landtagswahl?
Dürr: Wir wollen Teil der Landesregierung werden. Der Wahlkampf läuft. In den 2000er Jahren waren wir eins der stärksten Bundesländer. Da wollen wir wieder hin. Da wird die FDP ihren Beitrag zu leisten. Niedersachsen muss wieder ein Chancenland werden.