DÜRR-Interview: Brauchen Reformen, damit Wachstum entsteht
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab der „Augsburger Allgemeine“ das folgende Interview. Er spricht darin über notwendige Reformen und Richtungsentscheidungen für die Wirtschaft. Die Fragen stellte Stefan Lange.
Frage: Herr Dürr, Neuwahlen lieber schnell oder eher etwas später?
Dürr: Wir brauchen Stabilität in Deutschland, eine stabile Regierung. Es wäre deshalb gut gewesen, wenn man sich auf das hätte einigen können, was für unser Land jetzt notwendig ist. Als klar war, dass das nicht geht, haben wir dem Bundeskanzler vorgeschlagen, dass die gesamte Regierung zurücktritt, um sehr schnell zu Neuwahlen zu kommen. Das hat der Bundeskanzler bekanntermaßen abgelehnt und deswegen den Bruch bewusst in Kauf genommen.
Frage: Kann Ihre Partei so schnell Neuwahlen organisieren?
Dürr: Zu einem Wahlkampf gehört vor allem, dass man inhaltlich klar positioniert ist. Das sind wir, die FDP ist auf schnelle Neuwahlen eingestellt. Christian Lindner hat sein Konzept für eine Wirtschaftswende vorgestellt. Es geht hier um Millionen von Familien, um Millionen von Jobs und den Wohlstand in unserem Land. Deswegen hätten wir diese Reform gerne in der Koalition umgesetzt. Das hätte eine Kraftanstrengung für alle Koalitionspartner bedeutet. Wir haben klar gesagt, dass wir diese Kraft aufbringen wollen. Aber es war am Ende mit den Partnern nicht möglich.
Frage: Nun sagen alle drei Partner, eigentlich habe es Möglichkeiten gegeben, sich zu einigen. Das sagen sowohl Scholz als auch Lindner als auch Habeck. Woran hat es denn am Ende gehakt? Waren das die zwischenmenschlichen Beziehungen, die nicht mehr belastbar waren? Waren es die roten Linien, die jede Partei hat? Woran lag es?
Dürr: Es war die Tatsache, dass der Bundeskanzler die Fortsetzung der Koalition daran geknüpft hat, dass die Schuldenbremse des Grundgesetzes ausgesetzt wird. Unsere Sorge war, dass das gegen die Verfassung verstößt. Olaf Scholz hat außerdem Reformen vorgeschlagen, die so kleinteilig waren, dass wir sie nicht mittragen konnten, weil sie unsere Wirtschaft nicht vorangebracht hätten. Neue Schulden und keine Reformen - das wäre nicht nur keine Option für die FDP gewesen. Es wäre auch keine Option für Deutschland gewesen.
Frage: Die SPD argumentiert, es sei ihr um eine Notfallsituation und einen Überschreitensbeschluss gegangen, den die Schuldenbremse ausdrücklich erlaube.
Dürr: Man sollte die Dinge ehrlich beim Namen nennen. Auch das sind Schulden. Wir brauchen aber Reformen, damit in Deutschland wieder investiert wird, damit Jobs gesichert werden, damit Wachstum entsteht. Schulden helfen nicht.
Frage: Das Geld sollte für die Ukraine verwendet werden. Die steht unter heftigem Beschuss und vor einem harten Winter. Wie können Sie verantworten, da nicht zugestimmt zu haben?
Dürr: Es ist am Mittwochabend beim Koalitionsausschuss seitens der SPD gesagt worden, dass man zusätzliche neue Schulden in Höhe von über 15 Milliarden Euro machen will. Dabei ging es allerdings lediglich um drei Milliarden für die Ukraine. Die hätten wir im Haushalt darstellen können. Die 12 Milliarden Euro zusätzlich wollte die SPD zum Ausgeben haben. Das hätte unser Land nicht vorangebracht. Übrigens: Was der Ukraine jetzt konkret hilft, insbesondere an der Frontlinie, sind weitreichende Waffensysteme wie der Taurus. Dazu war der Bundeskanzler aber nicht bereit.
Frage: Was glauben Sie, wie es mit Christian Lindner weitergeht? Könnte es sein, dass er in den Augen der Bevölkerung vielleicht ein bisschen als verbrannt gilt?
Dürr: Im Gegenteil. Christian Lindner hat Mut und Zuverlässigkeit bewiesen. Er hat die Forderung des Bundeskanzlers, die Schuldenbremse ultimativ auszusetzen, nicht angenommen. Auch auf die Gefahr hin, dass er danach entlassen wird. Ich denke, die Wählerinnen und Wähler werden das honorieren.
Frage: Wie ist es bei Ihrer Partei angekommen, dass der Kanzler öffentlich so hart mit Christian Lindner abgerechnet hat?
Dürr: Am Ende muss Olaf Scholz seine Worte vor sich selbst rechtfertigen. Es ist absolut legitim, dass Parteien unterschiedliche Auffassungen haben, auch in einer Koalition. Dieses Abdriften ins Persönliche sollte man allerdings nicht machen, weil es die Menschen ratlos zurücklässt. Immerhin war man drei Jahre zusammen in einer Koalition.
Frage: Sie haben drei Jahre lang hart gearbeitet und jetzt ist plötzlich Schluss. Zumindest vorläufig. Wie geht es Ihnen persönlich damit?
Dürr: Der Tatendrang ist weiterhin da. Gleichzeitig hätte ich gerne das, was an Reformpolitik notwendig ist, in einer Koalition umgesetzt. Dieser Punkt ist aber auch das Beruhigende an der gesamten Entwicklung. Für die Richtungsentscheidungen, die wir als FDP treffen wollten, hatten die Koalitionspartner nicht die Kraft. Jetzt kann diese Richtungsentscheidung von den Menschen in Deutschland getroffen werden, und zwar bei der kommenden Bundestagswahl.
Frage: Herr Scholz will noch einige Dinge durch den Bundestag bringen. Haben Sie schon eine Vorstellung, wo Sie vielleicht noch mal mit Grün und Rot stimmen könnten?
Dürr: Überall da, wo wir Gutes fürs Land und für die Menschen bewirken können, sind wir gesprächsbereit und wollen handeln. Unsere Leitlinie war immer schon, dass wir nicht gegen etwas arbeiten, sondern uns für Projekte einsetzen. Darüber wird man jetzt reden müssen. Dafür muss der Kanzler so schnell wie möglich die Vertrauensfrage stellen.
Frage: Nächste Woche beginnt das Bundesverfassungsgericht mit den Verhandlungen über eine Klage von sechs FDP-Abgeordneten gegen den Rest-Soli. Was sind Ihre Erwartungen?
Dürr: Die Haltung der Freien Demokraten zum Soli ist klar. Diese Abgabe ist mittlerweile eine reine Wirtschaftssteuer geworden. Sie belastet direkt insbesondere kleine und mittlere Unternehmen, aber auch die Kapitalgesellschaften. Wenn man die Wirtschaft in Schwung bringen will, dann hätte man hier die direkte Möglichkeit, mit einer Abschaffung einerseits Unternehmen zu entlasten, für wirtschaftlichen Aufschwung zu sorgen, und andererseits sicher zu sein, dass das Steuersystem in Deutschland verfassungskonform ist. Es ist kein Geheimnis, dass SPD und Grüne das in der Vergangenheit nicht wollten. Jetzt wird man schauen, wer schneller ist: Die Politik oder das Bundesverfassungsgericht.