Dr. Florian Toncar
Pressemitteilung

TONCAR-Gastbeitrag: Keinen Freifahrtschein für die EZB

Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Dr. Florian Toncar schrieb für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Dienstagsausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

Im Mai hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihren Beschlüssen zum vielkritisierten Staatsanleihekaufprogramm „Public Sector Purchase Programme“ (PSPP) gegen ihre Kompetenzen verstoßen habe. Der Grund: Die EZB hatte nicht im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung dargelegt, inwiefern die von ihr verfolgten währungspolitischen Ziele noch im Verhältnis zu den wirtschafts- und fiskalpolitischen Auswirkungen des Anleihekaufprogramms stehen. Entsprechende Erläuterungen hat sie inzwischen nachgereicht, in der vom Verfassungsgericht gesetzten Frist.

Auch wenn die verfassungsrechtlichen Fragen damit wahrscheinlich geklärt sind, darf das nicht als Freifahrtschein für die EZB interpretiert werden: Wenn Kaufprogramme wie PSPP über längere Zeit betrieben werden, sind diese von der verbotenen monetären Staatsfinanzierung nicht mehr abzugrenzen. Zudem übernimmt die EZB mit PSPP ohne klares demokratisches Mandat immense finanzielle Risiken, die im Falle eines drohenden oder eingetretenen Zahlungsausfalls nicht nur eine Gefahr für die Preisstabilität, sondern auch für die Unabhängigkeit der EZB selbst darstellen. Ohne massive wirtschaftliche Verwerfungen zu riskieren, wird es immer schwieriger für die EZB, ihre Politik des billigen Geldes zu beenden und zu normalen Verhältnissen zurückzukehren.

Um einen Ausgang aus dieser Zwangslage zu schaffen, müssen wir über das Inflationsziel und die Inflationsmessung der EZB sprechen und ganz grundsätzlich über ihr Mandat. So kann dem EZB-Inflationsziel von 2 Prozent nicht alles andere untergeordnet werden: Rasante technologische Fortschritte dämpfen das Preisniveau ebenso wie fallende Ölpreise. Daher ist es sogar wahrscheinlich, dass das Inflationsziel momentan durch keine noch so lockere Geldpolitik erreichbar ist. Umgekehrt kann die Inflation jederzeit außer Kontrolle geraten, wenn das Vertrauen in die Notenbank verlorengeht. Daher sollte das Inflationsziel von 2 Prozent in eine Obergrenze umgewandelt werden, die ohne weiteres unterschritten werden darf.

Zudem ist eine Diskussion über die Inflationsmessung notwendig: Viele Fachleute bezweifeln, dass der heutige Warenkorb noch aussagekräftig ist, weil er sehr stark auf Konsumgüter ausgerichtet ist und die Steigerungen der Vermögenspreise zu wenig einbezieht. Gerade die durch expansive Geldpolitik befeuerten Preissteigerungen auf dem Immobilienmarkt sind eine gesellschaftspolitische Katastrophe, weil sie eine ganze Generation arbeitender junger Menschen um die Möglichkeit bringen, mit ihrem selbstverdienten Geld Wohneigentum zu erwerben.

Zum Dritten muss die Politik das EZB-Mandat nachschärfen und einschränken: So brauchen wir eine Großkreditgrenze für die EZB ebenso wie klare und restriktive Regeln für die Gewährung von Notliquidität für Banken. Zudem muss für unkonventionelle geldpolitische Maßnahmen künftig die Hürde einer qualifizierten Mehrheit im EZB-Rat bestehen.

Diese Forderungen verstoßen nicht, wie gerne behauptet wird, gegen die Unabhängigkeit der EZB. Diese gilt immer nur innerhalb der Grenzen ihres Mandates. Unabhängigkeit kann daher gerade nicht bedeuten, dass die EZB ohne Einschränkungen nach eigenem Ermessen Maßnahmen jedweder Art festlegen darf, die sie selbst als „Geldpolitik“ definiert, in die ihr niemand mehr reinreden darf. Ein solches Verständnis von Unabhängigkeit öffnet Tür und Tor für Übergriffe in die Kompetenzen demokratisch legitimierter Parlamente im Bereich der Wirtschafts- und Fiskalpolitik und verstößt damit fundamental gegen das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip. Es gehört für mich zu den kaum mehr erklärbaren Phänomenen der Debatte, dass die meisten demokratischen Parteien in Deutschland und Europa mit dieser Rolle der Notenbank keinerlei Probleme haben.

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