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LAMBSDORFF-Interview: Wir Europäer dürfen uns nicht erpressen lassen
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab der „Rhein-Neckar-Zeitung“ (Samstagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Andreas Herholz:
Frage: Russland und die Türkei haben eine Waffenruhe in Idlib vereinbart. Ein Hoffnungsschimmer für einen dauerhaften Waffenstillstand?
Lambsdorff: Wenn die Waffen schweigen, ist das für die leidgeprüften Menschen natürlich immer eine Hoffnung. Aber das Ziel geht weit darüber hinaus, denn jetzt muss ein dauerhafter Waffenstillstand erreicht werden. Wir brauchen einen Syriengipfel, an dem neben Russland und der Türkei auch die Europäische Union und andere Länder teilnehmen. Es geht darum, eine nachhaltige Lösung für Nordsyrien zu finden und einen politischen Prozess in Syrien voranzubringen, der zu einer Befriedung des Landes führt.
Frage: Der Ruf nach schärferen Sanktionen gegen Russland wird lauter. Sollte der Druck auf Moskau erhöht werden?
Lambsdorff: Ja, denn Wladimir Putin hält in Syrien die Schlüssel in der Hand. Ohne seine Unterstützung kann das Assad-Regime gar nichts erreichen. Wir sollten daher jetzt ganz konkrete Ziele vereinbaren: den Waffenstillstand und ein Mandat für UN-Blauhelmtruppen, die ihn überwachen. Dann kann man über solche Sanktionen nachdenken, die sofort wieder aufgehoben werden, wenn diese Ziele erreicht wurden.
Frage: Der türkische Präsident Erdogan hat die Grenze zu Griechenland für Flüchtlingen geöffnet. Wie lässt sich dort eine weitere Zuspitzung der Lage verhindern?
Lambsdorff: Europa muss einen Sonderbeauftragten einsetzen, der mit der türkischen Regierung über eine Deeskalation an der Grenze verhandelt, über eine Weiterentwicklung des EU-Türkei-Abkommens und über Hilfen für die Menschen in Idlib. Idlib und die türkisch-griechische Grenze liegen zwar 1400 Kilometer auseinander. Aber die jeweiligen Vorgänge stehen in einem inneren Zusammenhang. Erdogan missbraucht die Flüchtlinge im Nordwesten, lässt sie an die Grenze fahren und ermutigt zu illegalen Grenzübertritten. In gewisser Weise ist das ein Hilferuf, denn er hat Sorge, dass die knapp eine Millionen Menschen, die im Süden der türkischen Grenze in der syrischen Provinz Idlib ausharren, in die Türkei kommen. Dieses Vorgehen ist nicht in Ordnung und wir Europäer dürfen uns nicht erpressen lassen.
Frage: Ist denn der Flüchtlingspakt der EU mit der Türkei noch zu retten?
Lambsdorff: Die Türkei hat mit den 3,5 Millionen Flüchtlingen im Land, die sie seit vielen Jahren versorgt, ein großes Interesse, dass das dieses Abkommen fortbesteht. Das Interesse haben auch die EU und ihre Mitglieder. Es muss möglichst schnell darüber beraten werden, wie dieses Abkommen so gestaltet werden kann, dass es auch in Zukunft wirkt und allen Seiten hilft.