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LAMBSDORFF-Interview: Trump ist der größte Verlierer
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab dem Bonner „General-Anzeiger“ (Freitagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Kai Pfundt:
Frage: Könnte der Sturm auf das Kapitol in Washington ein Wendepunkt sein in der Beziehung der republikanischen Partei zum noch amtierenden US-Präsidenten Donald Trump?
Lambsdorff: Trump hat in der republikanischen Partei einen Bürgerkrieg entfacht. Er hat seine Anhänger persönlich zur Gewalt aufgefordert und gleichzeitig seinem eigenen Vizepräsidenten Mike Pence gedroht. Wir werden Zeuge, wie Trump-Anhänger und -Gegner gerade um die Seele der republikanischen Partei ringen.
Frage: Wer wird die Oberhand behalten? Die Radikalen und Populisten vom rechten Flügel oder die gemäßigten Konservativen?
Lambsdorff: Es wird ein harter Schlagabtausch mit offenem Ausgang. Mit dem 20. Januar, dem Tag der Amtseinführung des neuen US-Präsidenten Joe Biden, beginnt bei den Republikanern der parteiinterne Wahlkampf für die Kongresswahlen 2022. Welche Kandidaten sich intern durchsetzen, entscheidet, welche Richtung die Partei künftig dominieren wird. Es könnte sein, dass der Sturm auf das Kapitol für viele Republikaner, die bislang treu zu Trump standen, ein solcher Schock ist, dass sie sich wieder dem gemäßigten Flügel zuwenden. Das wäre gut für die USA und es wäre gut für die Welt.
Frage: Müssen wir in den kommenden knapp zwei Wochen, bis zu Bidens Amtseinführung, weitere Unruhen befürchten?
Lambsdorff: Ich glaube nicht. Der Sturm auf das Kapitol war wie schon Trumps gesamte Amtszeit ein Anschlag auf die amerikanische Demokratie und auf ihre Institutionen. Aber die haben sich als stärker erwiesen. Nehmen Sie die Gerichte: Die Klagen der Trump-Kampagne gegen den Wahlausgang wurden allesamt abgewiesen, teilweise durch Richterinnen und Richter, die der Präsident selbst ernannt hatte. Nehmen Sie Georgia, wo gestern zwei demokratische Senatoren gewählt wurden. Trotz der schrecklichen Bilder: Die Demokratie in den USA hat gewonnen, ihre Institutionen haben sich als stärker erwiesen als Trump.
Frage: Also keine Spätfolgen der Ära Trump?
Lambsdorff: Wenn Trump die Wahl gewonnen hätte, wären die Schäden in vielen Institutionen irreparabel geworden, die amerikanische Demokratie deformiert oder sogar zerstört. Der Wahlsieg des künftigen Präsidenten Biden ist die glücklicherweise klare Antwort des amerikanischen Volkes auf die dauernden Anschläge Trumps, seiner Familie und seiner Gefolgsleute. Biden hat die Chance, vieles zu reparieren.
Frage: Wie groß ist der Schaden, den die Bilder vom Sturm aufs Kapitol in Washington dem Modell der westlichen, freiheitlich-liberalen Demokratie zufügen?
Lambsdorff: Die beiden, die sich das mit dem größten Vergnügen angeschaut haben, waren vermutlich der chinesische Präsident Xi Jinping und Kreml-Chef Wladimir Putin. Umso wichtiger wird es sein, dass Biden die westliche Wertegemeinschaft wieder zusammenführt. Dabei müssen wir Europäer mitmachen, auch mit eigenen Ideen. Ich hoffe, dass so der Schaden, den es ohne Zweifel gibt, repariert werden kann.
Frage: Was ist dabei die Rolle Deutschlands?
Lambsdorff: Wir haben uns in Deutschland bequem eingerichtet in einem System von Verträgen, Bündnissen und Allianzen, das uns Wohlstand, Frieden und Sicherheit beschert hat. Wir müssen endlich erkennen, wie verletzlich dieses Netz ist, dass es gepflegt und immer wieder gestärkt werden muss. Deshalb muss Deutschland international viel aktiver werden. Wir müssen zusammen mit den anderen Europäern auf die Amerikaner zugehen und unsere großen Ziele gemeinsam verfolgen.
Frage: Wie wird sich das absehbare Ende der Ära Merkel darauf auswirken?
Lambsdorff: Sobald die Union ihren Kanzlerkandidaten benannt hat, wird Merkels Einfluss schwächer. Das ist ganz normal, weil alle auf den Neuen schauen. Umso wichtiger wird sein, aus Bundestag und aus Bundesregierung heraus Kontakte zur neuen US-Regierung zu knüpfen, die die kommende Bundestagswahl überdauern.
Frage: Nochmal zurück in die Vereinigten Staaten: Donald Trump hat mehrfach angedeutet, in vier Jahren nochmal als Präsidentschaftskandidat antreten zu wollen. Wie ernstzunehmen sind solche Ambitionen?
Lambsdorff: Trump hat eine lange Geschichte als Star im Reality-TV, jetzt ist er in einer eigenen Reality-Show angelangt. Aber die heißt nicht „The Apprentice,“ sondern „The Biggest Loser“, der größte Verlierer. Trump hat für die Republikaner den Senat verloren, er hat das Repräsentantenhaus nicht gewinnen können, und er hat die Präsidentschaft verloren. Ein desaströses Ergebnis für die Republikaner, von denen viele zutiefst frustriert sind. Ich hoffe sehr, dass die Partei den Mann, der ihr diese Niederlagen beschert hat, nicht erneut zu ihrem Kandidaten macht.
Frage: Der Boxerspruch „They never come back“ träfe dann auch auf Trump zu?
Lambsdorff: Im Sport ist der Spruch schon häufiger widerlegt worden. 75 Millionen Wähler haben Trump gewählt, die USA bleiben ein tief gespaltenes Land. Das will sich Trump zunutze machen. Auf der anderen Seite: Seine Niederlagen sind so schwerwiegend, die Bilder vom Kapitol so schockierend, dass ein Comeback eher unwahrscheinlich ist. Schließlich sind Amerikaner eigentlich verliebt ins Gewinnen, nicht in Verlierertypen wie Donald Trump.