Stellv. Fraktionsvorsitzender

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Alexander Graf Lambsdorff
Pressemitteilung

LAMBSDORFF-Interview: Niemand hat Interesse an einem großen Krieg im Nahen Osten

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab dem „Deutschlandfunk“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Sandra Schulz:

Frage: Wir haben heute Morgen ja fast ein Déjà-vu. Wieder keine Mehrheiten, keine klaren Mehrheiten jedenfalls. Wie gespalten ist das Land?

Lambsdorff: Das Land ist traditionell sehr zerklüftet, was seine politische Landschaft angeht. Es hat ja noch nie in der Geschichte Israels mal eine Situation gegeben, wo eine Partei eine absolute Mehrheit erreichte. Insofern: Es ist nicht so ungewöhnlich, dass es schwierig ist mit der Regierungsbildung. Dass es aber zweimal hintereinander so schwierig werden kann wie jetzt in diesem Jahr 2019, das ist schon eher ungewöhnlich und da ist es so, dass tatsächlich die nächsten Wochen zeigen werden, ob es gelingt, eine Regierung bilden zu können und wie so eine Regierung dann aussehen kann.

Frage: Jetzt geht es nicht anders, als dass Likud und Blau-Weiß zusammenarbeiten?

Lambsdorff: Das wäre eine Möglichkeit. Benny Gantz, der oppositionelle, sagen wir mal, Wahlsieger, hat das ja vorgeschlagen, aber mit einer Bedingung, die für den Likud bisher nicht annehmbar ist, nämlich dass Benjamin Netanjahu nicht mehr Premierminister ist. Insofern muss im Likud dann ein Entscheidungsprozess stattfinden gegen den eigenen Chef, gegen die starke Figur schlechthin in der Partei. Ich weiß noch nicht, ob im Likud eine solche Bewegung entstehen wird. Tatsache ist: Wenn die beiden zusammengingen, würde Lieberman mitmachen. Wir haben es eben im Bericht von Herrn Aßmann ja gehört. Er ist ein bisschen der Königsmacher. Dann hätte man jedenfalls eine stabile Regierung. Nur ob Netanjahu gehen wird oder nicht, steht auf einem völlig anderen Blatt.

Frage: Das wäre in der Tat die nächste Frage, ob diese Bedingung für den Likud unannehmbar ist, oder vielleicht schlicht nur für Netanjahu.

Lambsdorff: Das mag sein. Aber Netanjahu dominiert den Likud ja sehr stark. Allerdings hat er eine Achillesferse und die darf man nicht vergessen. Es läuft ein Verfahren wegen Vorteilsannahme gegen ihn und am letzten Tag der Frist zur Bildung einer Regierung, wo der Präsident jetzt einen Politiker beauftragen muss, eine Regierung zu bilden, am 2. Oktober, da muss Netanjahu zu einer Anhörung zur Staatsanwaltschaft und dann wird die Staatsanwaltschaft entscheiden, ob Anklage gegen ihn erhoben wird. Das ist auch das Hauptargument von Benny Gantz, warum er sagt, wir können mit Netanjahu nicht zusammenarbeiten, der steht demnächst wahrscheinlich mehr im Gericht als im Kabinett.

Frage: Wie erklären Sie sich und uns, dass jemand mit so einer Achillesferse überhaupt so ein starkes Ergebnis einfährt?

Lambsdorff: Netanjahu hat in den vergangenen Jahren etwas abgeliefert, um es mal etwas salopp zu sagen, worauf die israelische Bevölkerung weit mehrheitlich Wert legt, und das ist die Sicherheit des israelischen Staates. Das ist genau das, was den meisten Menschen dort unter den Nägeln brennt, wenn man sich vorstellt, wie Israel dort liegt, in was für einer Region, im Norden von der Hisbollah, im Süden vom islamischen Dschihad aus dem Gazastreifen, im Nordosten robbt sich der Iran in Syrien an die Grenze heran. Netanjahu ist ein harter Hund. Er inszeniert sich auch als harter Hund und er gewährleistet die Sicherheit durch harte Maßnahmen gegen diese äußeren Bedrohungen. Das ist für die meisten Israelis ein wirklich entscheidendes Kriterium, warum sie jemanden wie Netanjahu, der obendrein auch noch mit seinen ganzen internationalen Kontakten als Premierminister punkten kann, warum sie so jemanden unterstützen.

Frage: Was natürlich auch daran liegt, dass der sogenannte Friedensprozess diesen Namen auch schon wieder länger nicht ansatzweise verdient. Jetzt sagt Netanjahu – wir haben es auch gerade gehört –, es wäre jetzt schon am besten, wenn er weitermachen würde, wenn er in Ruhe weitermachen könnte, weil demnächst ja der sogenannte Friedensplan von Donald Trump erwartet wird. Mit Blick auf diesen sogenannten Friedensprozess – würde es da überhaupt so einen großen Unterschied machen, wer an der Spitze der Regierung steht, Gantz oder Netanjahu?

Lambsdorff: Unbestritten ist, dass es Netanjahu gelungen ist, mit dem amerikanischen Präsidenten eine unheimlich enge Beziehung aufzubauen. Vor der Wahl im April, aber auch vor dieser Wahl hat Trump ja Äußerungen von sich gegeben, die eindeutig auf eine Unterstützung des Premierministers hinausliefen. Insofern hat er da einen Punkt. Er hat eine Arbeitsbeziehung zu Trump. Das wäre sicher hilfreich. Auf der anderen Seite: Auch die anderen Politiker in Israel würden relativ schnell eine enge Beziehung zu den USA aufbauen. Die USA sind der Garant der Sicherheit Israels. Mit anderen Worten: Das ist ein Argument; wenn man Netanjahu ist, würde man das Argument auch bringen. Aber ob es wirklich stichhaltig ist, falls Benny Gantz beispielsweise Premierminister werden sollte, das glaube ich eigentlich nicht.

Frage: Ist es überhaupt so, dass man dieses Bild von Donald Trump, von den USA noch hat – in diesen Zeiten, in denen der Präsident ja mit Blick auf den Iran nach diesen Attacken auf die saudischen Ölanlagen ganz schön zu wanken scheint?

Lambsdorff: Ja, das war jetzt in der Spätphase dieses Wahlkampfes. Insgesamt muss man sagen, dass die Politik Donald Trumps ja sehr, sehr eng an den Positionen des Likud, an den Positionen der Hardliner in Israel ist. Wenn man sich vorstellt, dass vor der letzten Wahl Trump angekündigt hat, die de facto Souveränität Israels über die Golanhöhen auch in eine juristische Souveränität umwandeln zu wollen, eine Anerkennung auszusprechen, die Verlegung der amerikanischen Botschaft nach Jerusalem, und jetzt unmittelbar vor dieser Wahl hat Trump verkündet, nach der Wahl werde man mit Israel über eine Formalisierung des Verteidigungsbündnisses reden, ein bilaterales Abkommen schließen. All das sind ja Positionen, die einem Premierminister helfen in einer Wahl. Die Beziehung ist eng. Trump wird trotz der neuesten Ereignisse in Saudi-Arabien, was den Iran angeht, glaube ich, nach wie vor als ein starker Rückhalt im Likud gesehen. Ob das alle in Israel so sehen, sei mal dahingestellt, und was die persönlichen Eigenschaften von Trump angeht, glaube ich, macht man sich in Israel auch keine Illusionen. Aber politisch funktioniert die Beziehung.

Frage: Jetzt möchte ich mit Ihnen noch diesen kurzen thematischen Schwenk machen, den ich gerade schon vorbereitet habe. Wir haben jetzt über diese Attacken auf die Ölanlagen in Saudi-Arabien gesprochen, die ja ihren Niederschlag in der deutschen Außenpolitik gefunden haben – in einer Diskussion über die Frage, ob die Waffenexporte nach Saudi-Arabien, ob dieses Exportverbot gelockert werden soll. Aus Ihrer Fraktion gab es Unterstützung für die Stimmen, die gesagt haben, wir brauchen eine Lockerung dieses Exportstopps. Warum?

Lambsdorff: Saudi-Arabien und der Iran sind ja in einem großen Streit um die Hegemonie in der Region engagiert. Und das, was Saudi-Arabien an bereits unterzeichneten Verträgen mit Deutschland hat, bezog sich zum Beispiel auf Boote für die Küstenwache und es bezog sich teilweise auch auf Verträge mit anderen Ländern, wo deutsche Komponenten nur verbaut worden sind. Das alles aufzuhalten und auf lange Zeit aufgehalten zu lassen, das ist vermutlich nicht besonders produktiv. Wir haben keine Illusionen, was die Regierung in Saudi-Arabien angeht. Wir sind, auch was die Menschenrechtsfragen angeht, genauso kritisch beim Iran wie bei Saudi-Arabien. Aber unter dem Strich ist es so, dass Saudi-Arabien mit den USA, mit Israel Teil einer großen Allianz ist, die versucht, diese enorm aggressive Politik des Iran zu kontern. Saudi-Arabien hat einen Krieg direkt an der eigenen Grenze, der vom Iran ausgegangen ist. Das ist die Auseinandersetzung im Jemen. Mit anderen Worten: Der Blick auf Saudi-Arabien ist kein einfacher. Da muss man sehr differenziert hinschauen. Und es geht auch nicht darum, jetzt offensive Waffen zu liefern. Aber dass man Saudi-Arabien mit einem Waffenembargo belegt, so ähnlich wie China nach Tian’anmen, ich glaube, das ist auf Dauer keine sinnvolle Position. Beispielsweise sieht das Emmanuel Macron, sehen das die Franzosen oder die Spanier auch mit Pedro Sánchez, dem sozialdemokratischen Premierminister, ganz anders.

Frage: Da würde ich auch gerne noch auf die Argumentationslinie schauen, die gestern Ihre FDP-Kollegin Sandra Weeser aufgemacht hat. Sie sagt auch zur Untermauerung dieser Position, dass dieser Waffenexportstopp gelockert werden soll, dass Länder mit Systemrelevanz für die Weltwirtschaft wie Saudi-Arabien solche Angriffe in Zukunft abwehren können sollten. Stimmt die Gegen-Schlussfolgerung, dass Menschenrechte dann nicht systemrelevant sind?

Lambsdorff: Nein, das stimmt natürlich nicht! Aber es ist, wie ich eben sagte, ein differenzierter Blick. Für uns als Liberale stehen Menschenrechte immer im Vordergrund. Das ist vollkommen klar. Nur wenn Sie in diese Region schauen und Maßstäbe anlegen, wie wir sie aus der Europäischen Union kennen beispielsweise oder aus dem Westen insgesamt, dann ist das sehr, sehr schwierig. Ich glaube, das Entscheidende ist …

Frage: Herr Lambsdorff! Was spricht bei einem differenzierten Blick dafür, dass es in Saudi-Arabien zu wenig Waffen gibt?

Lambsdorff: Na ja. Wenn Sie sich anschauen, was Saudi-Arabien an Fähigkeiten braucht, dann ist eine Fähigkeit ganz offensichtlich nicht dabei, und das ist die Fähigkeit zur Verteidigung des eigenen Luftraums gegen Angriffe auf einen souveränen Staat, hier in dem Fall jetzt auf Öl-Raffinerien. Das sind defensive Systeme. Insofern: Da bin ich der Meinung, dass man Frau Weeser recht geben kann und sagen, in so einer Situation muss sich ein Land wie Saudi-Arabien verteidigen können. Es hat im Übrigen auch etwas damit zu tun, dass man damit eine Eskalation der Spannungen verhindern kann, wenn man sich erfolgreich verteidigen kann. Wenn man da sitzt und zum Opfer solcher Angriffe wird, die in Riad wie das eigene 9/11 betrachtet werden – der Angriff auf diese große Anlage von Aramco, der staatlichen Öl-Raffinerie, ist in saudischen Augen quasi ein eigenes 9/11. Man mag das für überzogen halten, aber so ist die Selbstwahrnehmung in Saudi-Arabien, und ich glaube, niemand hat ein Interesse daran, dass es jetzt einen großen Krieg in der Region gibt. Insofern ist die Fähigkeit der Länder, sich verteidigen zu können, dort eine Fähigkeit, die am Ende des Tages auch dem Frieden dient.

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