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LAMBSDORFF-Interview: Ein enttäuschender EU-Gipfel
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab „NDR Info“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Liane Koßmann:
Frage: Ist das ein kraftvolles Signal, das die EU-Staats- und Regierungschefs da jetzt erst mal aussenden?
Lambsdorff: Nein, das ist das Gegenteil eines kraftvollen Signals. Die Staats- und Regierungschefs konnten sich auf nichts einigen, was die Finanzminister nicht schon beschlossen hatten. Der sogenannte Wiederaufbau- oder Erholungsfonds, Recovery Fund auf Englisch, den muss ja jetzt erst mal Frau von der Leyen mit ihren Experten in der Kommission entwickeln. Den gibt es noch nicht. Und da wir natürlich im Moment überall sehen, wie Unternehmen unter der Krise leiden, ist das ein viel zu langsames Vorgehen. Insofern ist das ein enttäuschender Gipfel gewesen.
Frage: Aber einig ist man sich ja erst mal zumindest, dass es diesen Extratopf geben muss, einen Wiederaufbaufonds. Wie der dann finanziert wird, ist ja noch offen. Aber Eurobonds, Corona-Bonds wird es erst mal nicht geben. War es richtig, dass die Kanzlerin da diesem Ansinnen ja vor allem Italiens und Spaniens noch mal eine klare Absage erteilt hat?
Lambsdorff: Das war ohne Zweifel richtig. Für die Vergemeinschaftung von Schulden gab es ja auch in der Eurogruppe keine Mehrheit. In Deutschland gibt es dafür keine Mehrheit, in der Slowakei, in Finnland, in Estland, also in der Eurogruppe sind zehn Länder dagegen, neun sind dafür. Das Ganze ist eine Diskussion, die Europa mehr spaltet als es zu einen in einer Zeit, wo Einigkeit gefordert ist. Insofern war es auch ein Fehler von Italien, das Thema so prominent zu platzieren und auch ein Fehler, das muss ich auch so deutlich sagen, hier in Deutschland von den Grünen, das Thema in den Bundestag einzubringen gestern. Wir haben es ja dort debattiert. Es war vollkommen klar, dass das nur Ärger machen würde und nur schlechte Stimmung. Insofern: Das Thema ist vom Tisch. Und was den Erholungsfonds, den Recovery Fund, angeht. Frau Koßmann, ich muss das noch mal sagen: Es ist weder klar, wie das Geld da reinkommt, noch klar, wie das Geld wieder rausgeht. Also: Wie wird er finanziert und werden es anschließend Kredite oder Subventionen sein, die er auszahlt? Also, insofern: Da ist wirklich nichts Konkretes bei rausgekommen gestern.
Frage: Ja, da deutet sich ja eben dann auch wieder ein neuer Streit an, weil die Südländer sagen, sie wollen dieses Geld als Zuschüsse haben und dafür keine Schulden aufnehmen müssen, die Nordländer sehen eher Kredite. Wie schwierig ist es denn, da überhaupt einen Kompromiss zu finden oder verstärkt sich da vielmehr noch der Konflikt zwischen Nord- und Südländern?
Lambsdorff: Ich glaube, es gibt einen Hoffnungsschimmer und das sage ich als jemand, der lange in Brüssel gearbeitet hat und den Erfolg Europas wirklich herbeisehnt, und das ist die mittelfristige Finanzplanung. Das klingt jetzt wahnsinnig technisch, aber da geht es im Grunde um die Haushaltsplanung der EU für die nächsten sieben Jahre. Die muss sowieso Ende dieses Jahres beschlossen werden. Und dann ab 2021 könnte man, und das ist das eigentlich Spannende, den EU-Haushalt flexibler, schneller machen, weniger bürokratisch machen, stärker auf Wirtschaftswachstum, auf wirtschaftliche Erholung ausrichten. Dann hätten wir tatsächlich einen großen Erholungsfonds, bei dem die Regeln im Großen und Ganzen klar sind, aber eben modernisiert und flexibilisiert werden. In meinen Augen wäre das der beste Weg.
Frage: Von manch einem wird das alles ja auch als Schicksalsstunde für die Existenz der EU inzwischen schon beschrieben. Wie sehen Sie das, steht sie wirklich auf dem Spiel, die Existenz der EU?
Lambsdorff: Die Existenz der EU steht in einer Krise nicht per se auf dem Spiel, weil die EU ja genau dazu da ist, Krisen auf unserem Kontinent zu bearbeiten. Die Krise ist sozusagen ihre Standardsituation. Aber eines muss ich deutlich sagen: Bei allem Zusammenstehen hier bei der Bekämpfung des Virus, das wir in Deutschland gesehen haben zwischen dem Bund und den Ländern, da hat es ja auch mal Geruckel gegeben, war eine Sache aus Deutschland wirklich fatal und das war die Ausfuhrsperre für medizinische Produkte Anfang März, die die Bundesregierung völlig unabgestimmt verhängt hat, in einem Moment, als in Italien bereits Lkws die Leichen aus Bergamo abtransportierten. Das hat eine so tiefe Verletzung in Italien ausgelöst, das wirkt nach. Und der europapolitische Schaden, den die Bundesregierung da angerichtet hat, der wird uns noch lange begleiten.
Frage: Ja, es geht ja eben auch nicht nur um die Märkte, es geht um die Bürger, die ja auch mitgenommen werden müssen in dieser Krise. Deutschland übernimmt ja im Juli die EU-Ratspräsidentschaft. Welches Gesicht will Deutschland dann in Europa zeigen? Da gibt es ja auch viel, was sie gerade schon angedeutet haben, viel wiedergutzumachen dann aus deutscher Sicht.
Lambsdorff: Genau so ist es, ja. Also, wie gesagt: Die Bundesregierung, insbesondere Herr Seehofer, der Innenminister, hat also massiven Schaden angerichtet in Europa und wir werden Vertrauen zurückgewinnen müssen als Bundesrepublik Deutschland bei den anderen Europäern. Die Rolle der Präsidentschaft ist dafür ganz gut geeignet. Insofern ist es auch eine Chance, denn die Präsidentschaft tritt traditionell als ehrlicher Makler zwischen den unterschiedlichen Interessen auf und stellt eigene, nationale Interessen ein wenig hintan. Das machen alle Länder für sechs Monate nacheinander immer abwechselnd. Insofern gibt es da die Chance und da müssen große Entscheidungen getroffen werden. Ich habe die mittelfristige Finanzplanung genannt, auch das Abkommen mit den Briten muss unter Dach und Fach gebracht werden, wenn das nicht verschoben wird. Also da ist wirklich viel zu tun und das ganze Corona-Erholungsprogramm im Haushalt. Wenn es gelingt, davon einiges erfolgreich zu realisieren, dann wird Europa hoffentlich aus dieser Krise auch wieder vernünftig herauskommen.