KUBICKI-Gastbeitrag: Fakten mit fadem Beigeschmack
Das FDP-Fraktionsvorstandsmitglied Wolfgang Kubicki schrieb für „Focus Online“ den folgenden Gastbeitrag:
Der Beschluss der Schaltkonferenz von Kanzlerin und Ministerpräsidenten (MPK) erfüllt einen schon seit Wochen geäußerten Wunsch der in der Pandemie weitgehend glück- und geschicklos agierenden Regierungschefs Söder, Kretschmer und Hans: Ihre Bundesländer mögen doch bitte bei der nationalen Impfstoffzuweisung bevorzugt bedacht werden.
Immerhin seien ihre Länder als Grenzregionen zu Hochinzidenzgebieten in Tschechien und Frankreich besonders gefährdet. Bis jetzt blieb dieser Wunsch ungehört, auch wenn Jens Spahn den Ministerpräsidenten zumindest mehr Flexibilität innerhalb ihrer bestehenden Kontingente zubilligte und prioritäres Impfen in den Grenzregionen durch die geänderte Impfverordnung ermöglichte.
Er konnte dies so freimütig tun, weil die Bundesregierung – entgegen der ganz überwiegenden Meinung in der Jurisprudenz – nach wie vor meint, sie könne über die Impfreihenfolge freihändig im Verordnungswege entscheiden und nicht das Parlament mit dieser Frage befassen, die letztlich eine Frage über Leben und Tod sein kann. War zu Beginn der Impfkampagne noch klar, dass zunächst die besonders schutzbedürftigen Menschen zu impfen seien, können nunmehr auch rein geographische Gegebenheiten darüber entscheiden, wie schnell man den erhofften Pieks in den Oberarm bekommt.
Der Beschluss der Kanzlerin und der Regierungschefs der Länder setzt hier an und schafft Fakten mit fadem Beigeschmack. Die bevorzugte Belieferung der Länder Bayern, Sachsen, Saarland, Rheinland-Pfalz und Thüringen mit dem Biontech/Pfizer-Zusatzkontingent bedeutet nämlich auch, dass einige Bürgerinnen und Bürger der übrigen Länder länger auf die Immunisierung warten müssen als bei einer gleichmäßigen bundesweiten Verteilung des Impfstoffs.
Wir reden immer noch über Menschen mit verschiedensten Risikofaktoren, die besonders gefährdet von einer Covid-19-Erkrankung wären. Nach der Aufweichung der Priorisierung werden nun mittels Kontingenten Fakten geschaffen und das im Wege einer Video-Schaltkonferenz.
Der fatale Eindruck, dass die zentralsten Entscheidungen in diesem Land von einer Institution getroffen werden, die weder das Grundgesetz noch die Landesverfassungen vorsehen, setzt sich abermals fort. Derart zentrale Fragen gehören ins Parlament und nicht in die Hinterzimmer des Kanzleramts und der Staatskanzleien.
Neben diesen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken drängt sich im Zusammenhang mit dem Beschluss eine weitere Frage auf, die weniger banal ist, als man denken mag: Was soll das eigentlich bringen?
Der Beschluss spricht davon, den Infektionseintrag aus den Nachbarstaaten zu vermeiden oder zu begrenzen. Das bedeutet, dass man der Impfung eine Art Barrierewirkung zuschreibt, die nicht nur verhindert, dass der Geimpfte erkrankt, sondern auch, dass er das Virus weitergeben kann. Folgerichtig spricht die Spahnsche Impfverordnung auch von sogenannten „Ringimpfungen“ im Grenzgebiet oder „Riegelimpfungen“ innerhalb Deutschlands um bestimmte Hochinzidenzgebiete herum. Das Ziel ist stets den Ein- oder Austrag des Virus durch eine Barriere von Geimpften zu unterbinden.
Denklogische Voraussetzung ist dafür selbstverständlich, dass eine Impfung die Infektiosität des Geimpften unterbindet. Bleibt ein Geimpfter weiter ansteckend, bringt auch die Ringimpfung nichts. Es läge also nahe, dass die Bundesregierung hierzu harte und belastbare Erkenntnisse hat. Denn andernfalls wäre die Verteilung des zusätzlichen Impfstoffs an einige wenige Länder nicht mehr als ein Schuss ins Blaue, der angesichts der schwerwiegenden ethischen wie rechtlichen Fragestellungen nicht nur als rechtswidrig, sondern als verwerflich bezeichnet werden muss.
Allein: Hätte die Bundesregierung hierzu belastbare Erkenntnisse, müsste ich davon wissen, denn ich habe erst vor ein paar Tagen im Rahmen meines parlamentarischen Fragerechts danach gefragt, ab wann man Aussagen über die Infektiosität von Geimpften und Genesenen treffen kann. Die Antwort fiel – freundlich formuliert – ausweichend aus und man verwies darauf, dass eine Aussage erst möglich ist, wenn die „Auswertung von diesbezüglichen aussagekräftigen wissenschaftlichen Studien“ erfolgt ist.
Zwischen der Antwort auf meine Frage und dem Beschluss lagen drei Tage. Entweder bedeutet das also, dass die Entscheidung der MPK auf Grundlage einer belastbaren wissenschaftlichen Evidenz gefasst wurde, die die Bundesregierung mir auf meine schriftliche Einzelfrage unterschlagen hat.
Oder aber die Sonderzuweisung an die Bundesländer basiert auf einer nicht näher wissenschaftlich begründbaren Vermutung. Beide Optionen sind nicht zu akzeptieren.