Zuständig für Vorankommen durch eigene Leistung
KÖHLER-Interview: Es ist nicht sinnvoll, den Klimaschutz warten zu lassen
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Dr. Lukas Köhler gab „rnd.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Thoralf Cleven:
Frage: Herr Köhler, manche vertreten die Auffassung, angesichts Putins Krieg in der Ukraine müsse der Klimaschutz zugunsten der Energiesicherheit jetzt mal warten, andere glauben, die Aggression werde Klimaschutzmaßnahmen beschleunigen. Was meinen Sie?
Köhler: Es ist nicht sinnvoll, den Klimaschutz warten zu lassen. Klar ist, dass wir die deutsche Energie-Architektur umbauen müssen. Die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, insbesondere aus Russland, zeigt, wie wichtig es ist, davon wegzukommen. Kurzfristig ist das jedoch unrealistisch – Gas bleibt wichtig. Trotzdem ist jetzt jede Chance zu nutzen, beim Klimaschutz schneller und effizienter voranzukommen.
Frage: Wie schnell können wir uns aus der Abhängigkeit von russischem Gas und Öl sowie russischer Steinkohle lösen?
Köhler: Die Abhängigkeit von russischer Steinkohle und russischem Öl ist relativ schnell, also binnen weniger Jahre, zu beheben. Die Abhängigkeit von russischem Erdgas hängt davon ab, wie schnell wir Importquellen diversifizieren können, etwa durch den Bau von LNG-Terminals. Zentral ist auch die Frage, wie schnell wir im Wärmebereich umstellen können, weil Gas für den Strombereich einfacher zu ersetzen ist als bei der Wärmeerzeugung. Dafür brauchen wir länger. Außerdem ist entscheidend, wie mutig wir darin sind, zum Beispiel neue Wege in der Produktion von Wasserstoff zu gehen oder deutsche Erdgasfelder anzuzapfen.
Frage: Der Kohleausstieg 2030 steht ja nur „idealerweise“ im Koalitionsvertrag. Können wir uns davon verabschieden?
Köhler: Ich halte es für verfrüht, den Kohleausstieg 2030 abzuschreiben. Wir überprüfen dieses Jahr, ob der Weg bis 2030 noch der gleiche ist wie der, den die Kohlekommission beschlossen hat. Aus heutiger Sicht spricht nichts dagegen, am Idealziel festzuhalten.
Frage: Es gibt bereits Forderungen, die noch laufenden Atommeiler über das Ende dieses Jahres hinaus zu betreiben. Eine gute Idee?
Köhler: Die drei letzten Atomkraftwerke über die Ende 2022 geplante Abschaltung hinaus laufen zu lassen, ist auf jeden Fall eine sehr teure Option. In der aktuellen Lage würde ich zwar keine Möglichkeit ausschließen, vor allem für den nächsten Winter. Mir fehlt aber die Fantasie, wie das finanziert werden soll. Dabei geht es um rechtliche Hürden, aber auch sicherheitstechnische Fragen. Da kann ich mir eher vorstellen, Kohlekraftwerke noch etwas länger zu betreiben, die bereits jetzt abgeschaltet werden sollen.
Frage: LNG scheint der neue Zaubercode zur Unabhängigkeit von russischem Erdgas zu sein. Löst das meist mit der umstrittenen Frackingmethode gewonnene Flüssiggas überhaupt die Abhängigkeiten? Und ist LNG klimapolitisch klug?
Köhler: LNG kann Teil der Lösung sein, die Rettung ist Flüssiggas nicht. Wir diversifizieren damit unsere Bezugsquellen. Entsprechende Terminals, die jetzt im Gespräch sind, sollten zukünftig auch Wasserstoff und Ammoniak verarbeiten können. Das wäre wirtschaftlich und klimapolitisch klug.
Frage: Apropos: Werden in Deutschland alle bisherigen klimapolitischen Bremsen gelöst?
Köhler: Die Koalition ist dabei. Das Planungsrecht ist eines der dicksten Bretter, die gebohrt werden müssen. Da reichen keine Stellschrauben, an denen gedreht werden muss, um Planungen zu beschleunigen. Da sollten insgesamt mutige und zum Teil auch harte Entscheidungen getroffen werden.
Frage: Woran denken Sie da?
Köhler: Ich denke da zum Beispiel an die Frage Vogel- oder Naturschutz versus Klimaschutz. Oder an die Ertüchtigung der Entscheidungsbehörden vor Ort. Letztlich geht es auch darum, Überzeugungsarbeit zu leisten. Allgemeinen Klimaschutz finden alle gut. Wenn es aber konkret wird mit Kraftwerken oder Windkraftanlagen in der Nachbarschaft, müssen wir die politische Diskussionen führen und aushalten können.
Frage: Im aktuellen IPCC-Bericht ist beschrieben, wie Klima- und Naturschutz zusammenhängen. Muss sich Deutschland angesprochen fühlen?
Köhler: Die Hochwasserkatastrophe im vergangenen Jahr hat bewiesen, wie brisant die Situation auch in der Bundesrepublik ist. Da sind einige Hausaufgaben zu erledigen. Doch der Klimawandel bringt nicht nur Unwetter oder Dürre, es kommen hier auch neue Arten an. Das ist nicht notwendigerweise schlecht, aber es führt zur Veränderung unserer Biodiversität. Ich habe Umweltministerin Lemke jedoch so verstanden, dass sie das im Blick hat.
Frage: Im Referentenentwurf aus dem Wirtschaftsministerium zu den Eckpunkten der Abschaffung EEG-Umlage ist davon die Rede, dass 2035 der Strom in Deutschland nahezu vollständig aus erneuerbaren Energien stammen soll. Schaffen wir das?
Köhler: Das Ziel der klimaneutralen Stromerzeugung bis 2035 ist sehr ambitioniert, aber leider ebenso unrealistisch. Deshalb haben wir uns in den Koalitionsverhandlungen explizit für 2045 entschieden. Wir haben uns darauf verständigt, 80 Prozent Erneuerbare bis 2030 anzustreben. Das wird ein gewaltiger Kraftakt, den wir aber gemeinsam stemmen können und wollen. Um jetzt schnell in die Umsetzung zu kommen, sollten wir uns auf die Inhalte des Koalitionsvertrags konzentrieren, statt immer neue Zieldebatten zu führen.