DÜRR/KÖRZELL-Streitgespräch: Darf der Staat jetzt neue Schulden machen?
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr und das DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell im Streitgespräch für die „Neue Osnabrücker Zeitung“ (Mittwochsausgabe). Die Fragen stellte Rena Lehmann:
Frage: Herr Dürr, Herr Körzell, der Staat nimmt in der Corona-Pandemie hohe Schulden auf. Drohen bald höhere Steuern und Sozialabgaben für alle?
Dürr: Die Sorge ist, dass die Schulden von heute die Steuern von morgen sind. Man muss diese Krise bekämpfen, auch mit Haushaltsmitteln. Aber wir müssen auch in der Krise sparsam bleiben. Sie darf nicht der Anlass sein, mit Geld um sich zu werfen. Ich würde mir erst mal wünschen, dass Bundesfinanzminister Olaf Scholz alle Rücklagen von 48 Milliarden Euro auflöst. Das ist besser, als neue Schulden zu machen. Wir sind doch auch deshalb heute noch relativ stabil, weil wir vor der Krise Maß gehalten haben. Höhere Steuern müssen wir unbedingt verhindern, weil man damit eine Krise nach der Krise auslösen würde.
Körzell: In der Krise sparsam zu sein, das wäre der größte Fehler. Deutschland wird gerade von anderen Ländern dafür bewundert, wie gut wir wirtschaftlich durch die Krise kommen. Die Frage ist doch: Finanzieren wir Arbeitslosigkeit, oder investieren wir jetzt das Geld dafür, dass Arbeitsplätze erhalten bleiben? Wir müssen auch in der Krise in die Zukunft investieren. Wir brauchen wahrscheinlich sogar eine zweite Bazooka. Jetzt zu sparen oder jetzt schon eine Debatte darüber zu führen, was danach passieren muss, halte ich für völlig falsch.
Dürr: Einspruch, Euer Ehren: Gezielte Hilfen ja, aber der Staat kann nicht auf Dauer die Wirtschaft finanzieren. Die Wirtschaft muss wieder den Staat finanzieren. Wir müssen eine Perspektive haben, wie wir aus dieser Verschuldungspolitik wieder rauskommen. Die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt kann man nicht dauerhaft auf Pump finanzieren.
Frage: Darf der Staat neue Schulden machen, Herr Körzell?
Körzell: Ich halte die Schuldenbremse grundsätzlich für falsch, weil man dadurch auf dem Rücken kommender Generationen spart. Die Folgen sehen wir doch gerade: Homeschooling findet nicht statt, weil die Schulen und die Schüler nicht dafür ausgestattet sind. Wir haben in den letzten Jahren in der Bildung gespart, dass es quietscht. Genauso bei den Gesundheitsämtern und bei den Bauämtern. Wenn man jetzt weiter spart, geht die Infrastruktur kaputt. Gute Kitas, gute Hochschulen, das ist Geld, was sinnvoll in die Zukunft investiert ist.
Dürr: Das Problem bei der Digitalisierung der Schulen ist nicht das fehlende Geld, sondern dass die Regierung es nicht hinbekommt, es den Schulen zu geben. Zu glauben, viel Geld hilft viel, ist ausdrücklich falsch. Deutschland braucht vor allem einen Schub beim Bürokratieabbau.
Körzell: Das hat nichts mit zu viel Bürokratie zu tun, sondern damit, dass es an Personal fehlt, um die Dinge umzusetzen. Wir brauchen massive öffentliche Investitionen. 45 Milliarden jedes Jahr für die nächsten zehn Jahre. Das macht doch deutlich, was wir aufzuholen haben.
Frage: Krisenbewältigung, mehr Investitionen – wer soll das alles bezahlen?
Körzell: Wir müssen an der Steuerschraube drehen, aber so, dass wir ein gerechtes Steuersystem bekommen. Mit unseren Vorschlägen würden 95 Prozent der Steuerzahler entlastet werden. Diejenigen, die mehr schultern können, müssen künftig aber auch mehr schultern. Wer hart arbeitet, aber wenig verdient, muss entlastet werden. Wir wollen den Grundfreibetrag auf 12000 Euro anheben. Der Spitzensteuersatz muss von 42 auf 49 Prozent erhöht werden ab einem zu versteuernden Einkommen von 74500 Euro im Jahr. Und wir wollen eine Reichensteuer von zusätzlichen drei Prozent für Leute, die 125000 Euro zu versteuerndes Einkommen haben.
Dürr: Es ist himmelschreiend ungerecht, dass man in den 60er-Jahren noch das 18-Fache des Durchschnittseinkommens verdienen musste, um den Spitzensteuersatz zu zahlen. Heute ist es das 1,5-Fache. Schon mit der nächsten Lohnerhöhung muss man damit fast 50 Prozent seines Lohnes abgeben. Das ist nicht gerecht. Wenn der DGB auch will, dass der Spitzensteuersatz später zieht, dann hat er uns an seiner Seite. Die Vermögensabgabe klingt auf den ersten Blick gerecht, sie ist de facto aber eine Belastung des deutschen Mittelstandes. Die Vermögenden in Deutschland sind vor allem diejenigen, die Anlagen, Betriebshallen und Maschinen besitzen und die Arbeitsplätze schaffen. Es sind genau diejenigen, die es jetzt in der Corona-Pandemie besonders schwer haben. Sie mehr zu belasten wäre gerade nicht fair, sondern richtet sich gegen die Interessen der Arbeitnehmer.
Körzell: Was ist denn passiert in den vergangenen Jahren? Die Unternehmen sind entlastet worden, und gleichzeitig sind die Grunderwerbsteuern erhöht worden, weil Länder und Kommunen sich das Geld an anderer Stelle wiederholen müssen. Steuergerechtigkeit heißt aber nicht höhere Mehrwertsteuer und heißt auch nicht höhere Grunderwerbsteuer. Sie wollen mehr Investitionen in Bildung und Digitalisierung und Infrastruktur. Gleichzeitig wollen Sie, dass die Steuerlast sinkt. Da müssen Sie doch jetzt endlich auch mal sagen, wie Sie das alles finanzieren wollen. Das kann doch dann nur mit einem massiven Sparkurs an anderer Stelle gehen. Wir wollen eine Vermögensteuer von einem Prozent bei Ledigen ab einer Million Euro, bei Verheirateten von zwei Millionen. Wenn jemand 1,1 Millionen Euro hat, zahlt er 1000 Euro Vermögensteuer. Wer wenig verdient, der kann doch nichts sparen. Der hat seine Miete zu zahlen, geht zum Discounter zum Einkäufen, und dann ist das Geld weg. Diese Menschen sind aber über die Mehrwertsteuer in den vergangenen Jahren mehr belastet worden. Da muss wieder mehr Gerechtigkeit in das System.
Frage: Was ist denn das Konzept der FDP, um ihre Vorhaben zu finanzieren?
Dürr: Ich wünsche mir, dass der DGB an unserer Seite dafür kämpft, dass Schwarzarbeit konsequent verhindert wird. Ich würde mir wünschen, dass der DGB mit uns gegen Mehrwertsteuerkarusselle in Europa kämpft, wodurch dem Fiskus Milliarden von Euro entgehen. Die Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung ist eine ganz zentrale Antwort, um für Steuergerechtigkeit zu sorgen. Die Leidenschaft, die Sie für die Vermögensabgabe verwenden, sollten Sie lieber dafür aufbringen.
Körzell: Also beim Thema Bekämpfung von Schwarzarbeit brauchen wir sicher keine Nachhilfe von der FDP. Wir waren diejenigen, die bei der Einführung des Mindestlohns gesagt haben: Wir brauchen mindestens 10000 Menschen bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit.
Frage: Wir halten fest, bei der Entlastung bei der Lohnsteuer könnten Sie sich einigen. Wie sieht es bei der Besteuerung von Vermögen aus?
Körzell: Bei der Erbschaftsteuer wird in Deutschland viel weniger gezahlt als in anderen Ländern. Demgegenüber steht eine ungleich höhere Belastung der Arbeitnehmer durch Verbrauchssteuern wie die Mehrwertsteuer. Das muss wieder in eine Balance gebracht werden. Die Vermögensteuer ist vom Bundesverfassungsgericht nur ausgesetzt worden. Es hat der Politik einen Auftrag gegeben, sie zu gestalten. Aber es wird nicht gemacht, weil keiner sich seit 1996 traut, das Thema anzufassen.
Dürr: Substanzsteuern sind immer Mist. Sie würden dazu führen, dass mittelständische Unternehmen, obwohl sie in der Krise Verluste einfahren, Steuern zahlen müssen auf ihr Betriebsvermögen. Die Krise zeigt ja eines: Steuereinnahmen sind nicht statisch, sondern hängen direkt mit dem Wirtschaftswachstum zusammen. Wenn die Wirtschaft brummt, geht es auch dem Staat besser. Aber mit der Vermögensbesteuerung erreichen Sie doch genau das Gegenteil dieses Prinzips. Nämlich eine Besteuerung trotz Verlusten. Deutschland muss raus aus der Kurzarbeit und ganz schnell wieder zurück auf den Wachstumskurs. Alles, was jetzt gegen Wachstum ist, schadet am Ende dem Bundeshaushalt und fehlt für Zukunftsinvestitionen.
Körzell: Jetzt haben Sie aber immer noch nicht gesagt, was mit den Steuern ist, wenn es wieder läuft. Wie wollen Sie denn die jährlich notwendigen Investitionen von über 45 Milliarden Euro stemmen? Da wird es doch nicht reichen, Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit zu unterbinden.
Frage: Weniger einnehmen, aber mehr investieren – wie soll das gehen?
Dürr: Wachstum erreicht man einfach nicht durch Steuererhöhungen. Das hat in der Geschichte noch nie funktioniert. Man muss in einer solchen Krise aber auch auf politische Lieblingsprojekte verzichten. Beispielsweise auf die Grundrente. Ich bin dafür, dass jeder, der ein Leben lang rangeklotzt hat, auch eine faire Rente bekommt. Ich bin aber nicht dafür, dass, wenn das Haushaltseinkommen einer Familie insgesamt in Ordnung ist, dann eine Grundrente gezahlt wird.
Körzell: Das ist genau das Problem der FDP. Sie will die Arbeiter erreichen, hat aber null Verständnis für die Lebenssituation dieser Menschen. Es ist wirklich gut, dass Sie nicht regieren. Auch das ist eine Frage der Gerechtigkeit: Menschen haben über Jahre im Niedriglohnbereich gearbeitet und sollen dann am Ende beim Amt Grundsicherung beantragen? Das ist entwürdigend. Sie machen wirklich Sozialpolitik aus dem Tiefkühlschrank.
Dürr: Die Konzepte, die Sie haben, sind aus der Mottenkiste der 80er-Jahre. Wir sollten wieder Arbeitnehmerpolitik machen, indem wir auf Zukunftstechnologien setzen, auf neue Arbeitsplätze, auf Wachstum. Vermögensabgabe und andere Steuererhöhungen sind alles Konzepte, die in anderen Ländern nicht funktioniert haben. Deutschland war vor der Krise ja so stark, weil Gerhard Schröder Reformen gewagt hat. Wir müssen an diese Reformen anknüpfen, um Deutschland jetzt fit zu machen für die 2020er-Jahre. Ich rate dringend dazu, an Erfolge anzuknüpfen, statt Misserfolge zu kopieren.
Körzell: Aber der Staat muss jetzt Investitionen anreizen, weil andere es nicht tun. Bei der Bahn, den Wasser- und Verkehrswegen ist zum Beispiel vieles im Eimer. Da ist viel versäumt worden. Wir sind doch auch 2008 nach der Weltfinanzkrise aus der Krise herausgewachsen. Wollen Sie denn Unternehmen wie die Lufthansa kaputtgehen lassen? Deshalb gibt es Wichtigeres, als jetzt sofort zur Schuldenbremse zurückzukehren.
Dürr: Aber die Schuldenbremse hat doch gezeigt, dass, wenn die Krise da ist, es dem Staat überhaupt erst möglich ist, flexibel zu reagieren. Die Schuldenbremse immer zu beschimpfen, halte ich für völlig falsch. Sie hat sich in der Krise geradezu bewiesen.