DÜRR-Interview: Ein Kulturkampf gegen das Auto bringt nichts
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab „rnd.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Daniela Vates.
Frage: Herr Dürr, Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat angekündigt, als SPD-Spitzenkandidatin in den hessischen Landtagswahlkampf zu ziehen und dabei ihr Ministeramt zu behalten. Wie bewerten Sie das?
Dürr: Ich respektiere die Entscheidung von Frau Faeser. Auch in der Vergangenheit haben Politiker aus Ämtern heraus kandidiert. Angela Merkel war sogar gleichzeitig Bundeskanzlerin. Dem hessischen Ministerpräsidenten, der auch kandidiert, geht es genauso.
Frage: Auch aus der Koalition kommt die Kritik, Innenministerin könne man nicht in Teilzeit sein.
Dürr: Ich gehe davon aus und erwarte, dass Frau Faeser mit voller Kraft weiter Bundesinnenministerin ist. Es gibt große Aufgaben in ihrem Ministerium, etwa in der Migrationspolitik. Die Kandidatur sollte dem nicht schaden.
Frage: Wäre es ein Verlust fürs Kabinett, wenn Frau Faeser ginge?
Dürr: Wir arbeiten gut mit Frau Faeser zusammen, auch wenn wir inhaltlich an manchen Stellen Unterschiede haben, etwa beim Thema Vorratsdatenspeicherung. Aber es gibt keine fundamentale Kritik. Uns eint, dass wir den richtigen Rahmen für Deutschland als Einwanderungsland setzen wollen.
Frage: Großer Streitpunkt der Koalition sind gerade das Planungsbeschleunigungsgesetz und der Ausbau von Autobahnen. Die Grünen werfen der FDP Klimafeindlichkeit vor, die FDP den Grünen Wirtschafsfeindlichkeit. Wie soll man da zueinanderkommen?
Dürr: Wir haben im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass wir die Planungs- und Genehmigungszeiten für Infrastrukturprojekte halbieren wollen. Daran sollten wir uns halten.
Frage: Im Koalitionsvertrag ist von „systemrelevanten Bahnstrecken, Stromtrassen und Ingenieursbauwerken“ die Rede, nicht von Autobahnen.
Dürr: Da geht es um Projekte, die einzeln vom Bundestag beschlossen werden. Wir wollen aber insgesamt schneller werden, und deshalb ist von der Planungsbeschleunigung richtigerweise auch kein Verkehrsträger ausgeschlossen! Denn wir müssen auch beim Straßenausbau schneller werden. Wenn ein Straßenbauprojekt möglichst langsam realisiert und besonders teuer wird, ist das doch nicht gut. In Staus wird viel CO2 produziert, das schadet der Umwelt. Eine Windkraftanlage muss auch transportiert werden, das geht in der Regel nur über die Autobahn. Es ist eine Illusion zu glauben, dass Autobahnen heute weniger gebraucht werden als früher. Und Pkw können durch synthetische Kraftstoffe klimaneutral werden. Uns eint doch, dass wir die Klimaziele erreichen wollen. Ich verstehe die Zurückhaltung der Grünen da nicht. Die führen eine rückwärtsgewandte, konservative Debatte. Aber ein Kulturkampf gegen das Auto bringt doch nichts.
Frage: Wenn sich zwei streiten, macht man in der Regel einen Kompromiss. Wo bewegt sich die FDP?
Dürr: Ich fände es komisch, Kompromisse über etwas zu schließen, was man längst vereinbart hat. Der Koalitionsvertrag ist an dieser Stelle wunderbar.
Frage: Das klingt, als müsste Kanzler Olaf Scholz letztlich ein Machtwort sprechen.
Dürr: Mein Eindruck ist, dass die SPD die Sache ähnlich sieht wie die FDP.
Frage: In der Debatte um die Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine wurde dem Kanzler Zögerlichkeit vorgeworfen. Zu Recht?
Dürr: Die FDP hätte sich da mehr Geschwindigkeit erhofft. Aber ich habe Verständnis dafür, dass solche Entscheidungen nicht leicht sind und dass es wichtig ist, sie im Bündnis abzustimmen und dass man die USA an Bord hat.
Frage: Hat die FDP in der Panzerdebatte immer eine vorbildliche Tonlage an den Tag gelegt? Ihre Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat dem Kanzler Versagen vorgeworfen.
Dürr: Es gab höchste Emotionalität bei allen Koalitionspartnern. Ich habe Verständnis dafür, dass in Fragen von Krieg und Frieden auch mal die Gefühle hochkochen. Jetzt ist die Entscheidung getroffen und wir können nüchterner weiterarbeiten.
Frage: Sie zucken nicht jedes Mal zusammen, wenn Frau Strack-Zimmermann ein Interview gibt?
Dürr: Ich bin kein Typ, der zuckt.
Frage: Mittlerweile gibt es Forderungen, die Ukraine mit Kampfjets zu beliefern – verbunden mit der Warnung, das auszuschließen. Wo stehen Sie da?
Dürr: Es ist zurzeit nicht sinnvoll oder militärisch angezeigt, diese Debatte zu führen.
Frage: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert, die EU-Beitrittsverhandlungen für die Ukraine noch in diesem Jahr zu beginnen. Halten Sie das für möglich?
Dürr: Es war richtig und wichtig, der Ukraine die Perspektive für einen Beitritt zur EU zu eröffnen. Die Vorbereitungen müssen sehr sorgfältig sein. Es geht darum, gewisse rechtliche Mindeststandards zu etablieren. Dafür braucht es Zeit. Es wäre nicht richtig, den Prozess aus politischen Gründen abzukürzen. Wir brauchen eine stabile EU. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass weitere Schritte folgen werden. Es gibt in der Ukraine ja geradezu eine EU-Euphorie.
Frage: Im Innenministerium hat gerade der Beauftragte für Migrationsabkommen seine Arbeit aufgenommen, der FDP-Politiker Joachim Stamp. Was sollen diese Abkommen bringen?
Dürr: Es soll künftig leichter sein, als Arbeitskraft nach Deutschland zu kommen als über andere Wege. Deutschland hat einen krassen Arbeitskräftebedarf und der wird noch zunehmen, wenn die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer demnächst in Rente gehen. Das bedroht unseren Wohlstand. Wir müssen also die Arbeitsmigration stärken und es erschweren, in die sozialen Sicherungssysteme einzuwandern. Wenn Menschen hier mit anpacken und sich integrieren wollen, sind wir sehr weltoffen. Aber wer straffällig wird oder den Staat ausnutzt, muss leichter abgeschoben werden. Dazu dienen Rücknahmezusicherungen der Herkunftsstaaten.
Frage: Die Union kritisiert, die Migrationsabkommen seien Augenwischerei. Illegale Migration würde dadurch nicht weniger.
Dürr: Ich möchte mir von einer Partei, die in der Migrationspolitik im Prinzip versagt hat, ungerne Ratschläge geben lassen. Die Union hat dafür gesorgt, dass in der Vergangenheit Arbeitskräfte aus Deutschland abgeschoben wurden, aber Straftäter hier bleiben durften. Das hat zu Recht für viel Unruhe in der Bevölkerung gesorgt. Auch andere Länder schließen Migrationsabkommen – und sie beweisen, dass sich dadurch illegale Migration verringert.