BUSCHMANN-Statement: Das Brinkhaus-Durchpeitsch-Verfahren ist vom Tisch
Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Dr. Marco Buschmann gab vor der Fraktionssitzung folgendes Statement ab:
„Die Corona-Pandemie hält das Land weiter fest in einem harten Griff. Wir haben nach wie vor eine angespannte Situation und in vielen Regionen spitzt sich auch die Lage in der Intensivmedizin zu. Deshalb ist es die Pflicht der Politik, zu wirksamen Instrumenten zu greifen, um diese Gefahr einzudämmen. Das wichtigste Instrument ist dabei das Impfen. […] Zur Bekämpfung der Pandemie gehören unserer Ansicht nach auch bundesweit einheitliche Wenn-dann-Regeln, die klare Kriterien vorgeben, wenn vor Ort eine bestimmte Infektionslage vorliegt, das dann auch klar ist, was dann dort zu tun ist. Diese grundsätzliche Idee liegt auch der IfSG-Novelle zugrunde, die wir diese Woche und auch in der kommenden Woche hier im Deutschen Bundestag beraten werden. Trotzdem ist nicht jede richtige Methode in der Ausführung gut und die vierte Novelle des IfSG trifft doch auf schwerwiegende Bedenken auf unserer Seite. [...] Das gilt einmal für die sogenannte Tatbestandsseite, also die Definition der Kriterien, wann die bundesweit einheitliche, sogenannte Notbremse gelten soll. Die Formulierungshilfe sieht nach wie vor vor, sich nur an der nackten Inzidenzzahl von 100 zu orientieren. Die nackte Inzidenzzahl ist aber für so schwere Grundrechtseingriffe, wie sie hier vorgesehen sind, ein schlechter Indikator. Wir wissen, dass sie sehr schwankt. Wir wissen, dass ihre Feststellung vom Meldewesen abhängt, von der Zahl der Tests. Und wir wissen vor allen Dingen, dass die nackte Inzidenzzahl blind ist für die Frage, ob irgendwo ein flächenmäßiger Ausbruch stattfindet oder ein eng begrenzter, sogenannter Cluster-Ausbruch. […] Diese Unterscheidung haben wir uns nicht ausgedacht. Es ist eine Forderung der Gerichte, dass man diese Unterscheidung vornehmen muss und das schafft die nackte Inzidenzzahl nicht. Sie ist deshalb ein schlechtes Kriterium […] Besser wäre es gewesen, andere Faktoren miteinzubeziehen, etwa die Situation auf den Intensivstationen, etwa die Zahl der Tests, die den Positiv-Fällen zugrunde liegen. Das wäre alles erforderlich gewesen, um ein gutes Kriterienbündel zu haben, um dann zu dem Ergebnis zu kommen, dass auch scharfe Maßnahmen in einer bestimmten Region erforderlich sind.
Schwere Bedenken haben wir auch auf der Rechtsfolgenseite. Nach wie vor hält die Bundesregierung an Ausgangssperren fest. Wir wissen, dass Ausgangssperren ein untaugliches Mittel sind, um Corona zu bekämpfen. Das haben jüngst auch erst wieder Aerosol-Forscher unterstrichen. Die Gefahr der Infektion liegt nicht draußen im Freien an der frischen Luft, sondern drinnen in geschlossenen Räumen. Und die Bundesregierung und möglicherweise auch die regierungstragenden Fraktionen machen sich eine Argumentation zu eigen für diese Ausgangssperren, die bereits vor Gerichten gescheitert ist. […] Die Richter haben klar gesagt: Wenn Kontakte die Gefahr sind, dann muss der Staat alles in seiner Macht Stehende tun, um Kontakte zu unterbinden, aber nicht mit Ausgangssperren arbeiten […] Der Entwurf fällt im Prinzip auf ein Wissensniveau von vor einem Jahr zurück, weil er sich weigert, Lernerfolge und auch technische Innovationen zu berücksichtigen. Es gibt kaum Möglichkeiten mit Testkonzepten zu arbeiten, es gibt keine Möglichkeiten für vernünftige Modellprojekte. […] Der Entwurf sagt nichts zu der Frage aus, wie wir eigentlich mit geimpften Personen umgehen. Wir haben mittlerweile viele belastbare Studienergebnisse, dass von geimpften Personen keine Infektionsgefahren ausgehen. Trotzdem gibt es keinerlei Differenzierung zwischen geimpften Personen und nicht geimpften Personen. […] Die Verordnungsermächtigung des Entwurfs, das ist der nächste schwere Mangel, gibt der Bundesregierung ungeahnte Eingriffsmöglichkeiten. Er sieht beispielsweise vor, dass in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung eingegriffen werden kann, dass in die Freizügigkeit eingegriffen werden kann. Und das bedeutet, dass die Bundesregierung ohne zusätzliches Parlamentsgesetz dafür sorgen kann, dass Wohnungen kontrolliert werden, dass die Bundesregierung möglicherweise ohne Parlamentsgesetz die Reisefreiheit innerhalb des Bundesgebietes beschränken kann. […] Dieser Mangel bei der Verordnungsermächtigung wird auch nicht durch die angedeutete Parlamentsbeteiligung geheilt. Zwar sieht der Entwurf vor, dass Parlament und Bundesrat miteinbezogen werden sollen. Der Entwurf enthält aber eine Zustimmungsfiktion des Deutschen Bundestages, die nach einer ganz kurzen Frist eintritt, sodass man befürchten muss, dass solche schweren Grundrechtseingriffe […] im Zweifelsfall über Zustimmungsfiktion laufen […] Und weil der Entwurf dementsprechend alle schweren Mängel nach wie vor enthält, die wir bereits am Wochenende der Bundesregierung signalisiert haben, wird es Sie nicht wundern, dass wir einem solchen Entwurf nicht zustimmen können.
Es gibt eine Verbesserung im Bereich des Gesetzgebungsverfahrens. Insbesondere der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Ralph Brinkhaus hat Druck auf das Parlament ausüben wollen, dass der gesamte Gesetzgebungsprozess innerhalb dieser einen Plenarwoche erfolgen solle. Das hielten wir von Anfang an für falsch. Wir wissen, dass nichts schlimmer ist als schlampige Beratung. Wir erinnern uns an die MPK, die zu der sogenannten Osterruhe geführt hat. [...] Das hat das Vertrauen in Politik und das Vertrauen in die MPK tiefgreifend verletzt und gestört. [...] Ein solcher Mangel, wie er in der MPK zutage getreten ist, darf sich hier im Parlament nicht wiederholen. Die Verfassungsinstitutionen, insbesondere das Parlament, ist auf das Vertrauen ihrer Bürgerinnen und Bürger angewiesen. Und deshalb muss ein Gesetz, erst recht wenn es so tief in das Leben der Menschen eingreift, vernünftig und seriös beraten werden. Deshalb ist das Brinkhaus-Durchpeitsch-Verfahren vom Tisch. Ich kann berichten, dass die Parlamentarischen Geschäftsführer sich darauf verständigt haben, dass die erste Lesung des Gesetzentwurfs am Freitagmorgen stattfinden wird. Dementsprechend wird die zweite, dritte Lesung des Gesetzes dann am Mittwoch der kommenden Sitzungswoche stattfinden. Die schließt sich direkt an diese Woche an, sodass wir immer noch ein sehr zügiges Gesetzgebungsverfahren haben, das aber die Möglichkeit etwa für Anhörungen lässt und auch die Möglichkeit lässt, innerhalb der Fraktion seriös und sorgfältig über die Sache zu beraten […] Überhaupt ist eine Sache augenfällig: Uns wird die ganze Zeit, insbesondere von der Unionsfraktion, gesagt, dass die IfSG-Novelle das wichtigste Thema sei, dass sie die gesamte Konzentration des Hauses bedarf, am besten das gesamte Verfahren in dieser Woche abgeschlossen werden muss. Aber anstatt sich mit dieser Sache auseinanderzusetzen, wird hier die Fraktionssitzung des heutigen Tages zum Schaulaufen für die Kanzlerkandidaten der Union. Und ich muss wirklich sagen, in der Lage, in der das Land ist und auch in Anbetracht der Vorlage, die wir hier beraten, die eine nie gekannte Machtkonzentration in den Händen der Bundesregierung enthält, gibt es wahrlich wichtigere Beratungsgegenstände als die Frage, welches Gesicht auf den Wahlplakaten der CDU/CSU im September zu sehen sein wird. […]“