Dr. Marco Buschmann
Pressemitteilung

BUSCHMANN-Gastbeitrag: Statt Regulierung: Einigkeit und Recht und Freiheit

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Dr. Marco Buschmann schrieb für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Donnerstagsausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

Schon vor Corona wurde der Ruf nach stärkerer Regulierung laut. Für das Wirtschaftsleben hat die politische Linke schon lange behauptet, der „Neoliberalismus“ habe die Verhältnisse zu weit dereguliert. Für den Bereich von Kultur und Gesellschaft gab es immer wieder Warnungen, dass es der Westen mit der Offenheit der Verhältnisse übertrieben habe. Nun hat auch der Berliner Soziologe Andreas Reckwitz in seinem Bestseller „Das Ende der Illusionen“ diesen gedanklichen Pfad betreten. Das Pendel sei zu lange und zu stark in Richtung „Öffnung“ geschwungen. Nun stehe die Gegenbewegung bevor: mehr Regulierung in Wirtschaft und Gesellschaft. Im politischen Zentrum der Republik scheint dies ungewöhnlich viel Resonanz auszulösen. Von Friedrich Merz bis Lars Klingbeil, von Christian Lindner bis Gerhart Rudolf Baum bekennt sich eine außergewöhnlich breite Allianz von Lesern aus dem Kreise politischer Köpfe öffentlich zur Lektüre des Werks. Ist das ein Zeichen? Verlangt der Geist unserer Zeit also nach mehr Regulierung?

Die Pendellogik klingt einfach und bestechend. Doch ein Blick auf die Fakten führt zum Widerspruch gegen die populäre These. Tatsächlich sind viele politische Probleme unserer Gegenwart eher die Folge eines Übermaßes an staatlicher Regulierung. Ein gutes Beispiel ist das politische Schlachtfeld der Wohnungsmärkte. Mieten steigen, Bauland wird teuer, und die Schuldigen sind schnell gefunden. Wohnungsbaugesellschaften und Spekulanten würden die Preise gezielt in die Höhe treiben. Sie missbrauchten die Freiheit der Märkte. Neue Fesseln müssten ihnen daher angelegt werden. Doch steigende Preise für Wohnraum rühren von steigender Nachfrage und einem im Verhältnis dazu knappen Angebot her. Genau das ist aber kein Ergebnis von Freiheit, sondern jedenfalls zu substantiellen Teilen von Regulierung. Wenn Bauland mit Hinweis auf drohende Zersiedelung oder Bodenversiegelung rechtlich verknappt wird, dann ist das ein legitimes Regulierungsziel. Die Preissteigerungen, die aus der Verknappung des Angebots folgen, sind aber kein Ergebnis missbrauchter Freiheit, sondern staatlicher Regulierung. Wenn es teurer wird zu bauen, dann wird es auch teurer zu mieten. Über 15 Prozent der Kosten beim Wohnungsbau gehen auf Kosten staatlicher Regulierungen zurück. Sie sind Folge von immer anspruchsvolleren und verpflichtenden Standards. Wer hier mehr Regulierung schafft, macht alles nur noch schlimmer. Der Berliner Mietendeckel ist ein gutes Beispiel. In der kurzen Zeit seiner Geltung ist die Zahl der genehmigten Neubauwohnungen zurückgegangen. Damit verstärken sich genau die Effekte, die zum Teil auf eine Vermarktlichung des Wohnens zurückgeführt werden.

Der Trend zu mehr Regulierung ist nicht auf den Wohnungsmarkt beschränkt. Einem Großteil der Bevölkerung ist er sehr bewusst. Das Institut für Demoskopie Allensbach fragte die Menschen, ob sie den Eindruck hätten, dass der Staat immer mehr regele. Vor fünf Jahren beantworteten diese Frage nur 43 Prozent mit „Ja“. Mittlerweile sind es 61 Prozent. Bezogen auf die 43 Prozent ist das eine Zunahme um fast die Hälfte. Vor diesem Hintergrund wirkt die These, dass es einen objektiven oder subjektiv empfundenen Mangel an Regulierung in Deutschland geben könnte, also dass das Pendel zu lange und zu heftig in Richtung Deregulierung geschwungen sei, fast absurd.

Die Faszination der Pendeltheorie folgt also nicht aus dem Umstand, dass sie zutreffend die Wirklichkeit beschreibt. Sie bedient jedoch ein gesellschaftliches Bedürfnis. Der politische Diskurs hat an Härte zugenommen. Identitäre Politikakteure verstehen die Demokratie immer weniger als Methode öffentlicher Erörterung auf dem Weg zum Kompromiss. Vielmehr betreiben sie die Fortsetzung des Marx’schen Klassenkampfs mit anderen Mitteln: An die Stelle von Arbeit und Kapital treten andere Gegnerkonstrukte von Unterdrückern und Unterdrückten. Ziel ist nicht die Kooperation auf Augenhöhe, sondern die Vernichtung der Unterdrücker durch die Unterdrückten. Kultur, Werte und Normen werden als Überbau und Unterdrückungsinstrumente stigmatisiert und der Vernichtung preisgegeben.

Rechtsidentitäre wähnen eine Unterdrückung der Nation durch kosmopolitisch inspirierte „Umvolkung“, die kulturell von Vertretern einer angeblichen „Lügenpresse“ flankiert wird. Linksindentitäre definieren immer neue Gruppen, deren Unterdrückung sich angeblich in Sprache, Wirtschaft und Gesellschaft wiederfindet. An die Stelle des universalistischen Anspruchs eines jeden Individuums auf Freiheit und Gleichheit vor dem Gesetz ganz unabhängig von jeglicher Gruppenzugehörigkeit tritt die Aufteilung der Gesellschaft in Gruppen politischer Kombattanten, gegen die in der Logik des Bürgerkrieges alles erlaubt zu sein scheint. Die Hoffnung auf eine schnelle Beseitigung der öffentlichen Aggressivität öffnet das Ohr für einfache Metaphern wie das Regulierungspendel. Doch für eine Rezivilisierung des politischen Diskurses bedarf es mehr als der kalten Macht des rechtlichen Regulierungsbefehls. Einigkeit folgt nicht aus Recht allein. Es braucht Einigkeit und Recht und Freiheit.

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