Dr. Marco Buschmann
Pressemitteilung

BUSCHMANN-Gastbeitrag: Letzte Ausfahrt: Digitalisierung

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Dr. Marco Buschmann schrieb für den „Focus“ (aktuelle Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

Die Zukunft des Staates ist digital oder dysfunktional. Einen dritten Weg gibt es nicht. Denn in der zeitweisen Stilllegung ganzer Behörden im Corona-Shutdown zeigte sich in Wahrheit nicht bloß die Wirkung des Virus, sondern ein struktureller Mangel: Die deutsche Verwaltung setzt immer noch auf die Basistechnologie Papier – von der unteren Baubehörde bis ins Kanzleramt. Die Bundesregierung hängt bei Kernvorhaben der Verwaltungsdigitalisierung wie der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes oder der Registermodernisierung systematisch hinterher. Auch die EU­-Kommission bemängelt den Digitalisierungsgrad der deutschen Verwaltung. Im jährlich von ihr veröffentlichten „Digital Economy and Society Index“, welcher die Mitgliedsländer hinsichtlich ihrer Fortschrittlichkeit in Digitalisierungsfragen vergleicht, landet Deutschland in der Kategorie „Digitale öffentliche Dienstleistungen“ auf Platz 21 – deutlich unter dem Durchschnitt und nur knapp vor Tschechien und Bulgarien. Corona sollte nun wirklich der letzte Impuls gewesen sein, um endlich eine Digitalisierungsoffensive für den deutschen Staat zu starten. Gründe dafür gibt es viele.

Erstens: Eine Digitaloffensive für den Staat kann ein Stimulus zur Überwindung der Wirtschaftskrise sein. Sie führt zu steigender Nachfrage bei Hightechprodukten und, noch wichtiger: zu mehr Nachfrage im Bereich hoch qualifizierter Dienstleistungen. Statt alte Strukturen und Wirtschaftszweige mit Subventionen künstlich am Leben zu erhalten, wird ein vorübergehender Nachfrageeinbruch in einem Technologiesektor kompensiert, der für unsere Zukunftsfähigkeit enorme Bedeutung hat. Zudem hebeln diese staatlichen Investitionen wiederum Investitionen der Privatwirtschaft. Eine zunehmende Umstellung auf digitalisierte Interaktion mit der Verwaltung macht es auch für Private attraktiver, veraltete administrative Strukturen aufzubrechen und diese durch Investitionen in zukunftsweisende digitale Produkte und Kapazitäten zu transformieren.

Zweitens: Der Staat ist dringend auf die Produktivitätssteigerung aus Digitalisierung angewiesen. Schon heute fehlen im öffentlichen Dienst 300000 Mitarbeiter, davon 138000 allein in den Kommunalverwaltungen. Fast jeder dritte Beschäftigte wird in den nächsten zehn Jahren in den Ruhestand gehen. Aufgrund des demografischen Wandels wäre es eine Illusion zu glauben, dass der Staat diese Arbeitskräfte voll ersetzen könnte. Das wäre volkswirtschaftlich auch gar nicht wünschenswert. Denn so würde er den Fachkräftemangel in der Wirtschaft, den viele Ökonomen für die größte Wachstumsbremse halten, noch verschärfen. Der Staat muss seine Leistungen also künftig mit weniger Personal erbringen. Will er sie nicht kürzen, führt an produktiverer Arbeit mit digitalen Werkzeugen kein Weg vorbei.

Drittens: Digitale Verwaltungsdienstleistungen für die Bürgerinnen und Bürger sind notwendige Bedingungen, damit der Staat seine Akzeptanz in der Bevölkerung behält. Wenn es heute im privaten Sektor möglich ist, in fünf Minuten ein Netflix­-Abo abzuschließen oder per Videoverbindung ein Konto zu eröffnen, dann sinkt die Bereitschaft, für eine Verlängerung des Personalausweises einen halben Tag Urlaub für den Behördengang zu nehmen. Wenn Deutschland heute stolz darauf sein möchte, dass es in unserem Land etwas leichter wird, familienpolitische Leistungen via Onlineformular zu beantragen, können die Einwohner Estlands nur mitleidig lächeln. Kommt dort ein Kind zur Welt, erhalten die Eltern quasi automatisch einen Bescheid über Ansprüche auf Kindergeld, ohne dass sie selbst zum Amt gehen und Formbögen ausfüllen müssen. Digitales Datenmanagement macht es möglich.

Eine Digitalisierungsoffensive ist möglich, wenn wir einige wenige Hindernisse aus dem Weg räumen. Beim ersten Hindernis stehen sich Bund und Länder bei der Definition gemeinsamer Verwaltungsstandards, ­-schnittstellen und ­-systeme gegenseitig im Weg. Niemand möchte von seinen „Eigenentwicklungen“ lassen. Denn die bereits getätigten Investitionen wären sonst „versunkene Kosten“. Diese Sorge sollte der Bund den Ländern nehmen und ihnen im Falle einer erfolgreichen gesamtdeutschen Definition diese „versunkenen Kosten“ ersetzen, damit wir endlich vorankommen. Ein weiteres Hindernis: Es fehlt an Möglichkeiten, sich digital ausweisen zu können. Kersti Kaljulaid, die Präsidentin des digitalen Musterlandes Estland, hat kürzlich betont, dass ein digitaler Personalausweis der Dreh­ und Angelpunkt der Verwaltungsdigitalisierung ist: „Denn sie können keine digitalen Dienste anbieten, wenn nicht jeder einen digitalen Ausweis hat.“ Daher benötigt Deutschland so schnell wie möglich einen echten „SmartPerso“. Schließlich und endlich braucht Deutschland ein Digitalministerium, das eine übergreifende Digitaloffensive steuert. Der alte Ansatz der großen Koalition, dass jedes Ministerium letztlich seine eigene Digitalstrategie entwickelt, ist so effektiv wie eine Fußballmannschaft, bei der alle elf Spieler immer dort hinrennen, wo gerade der Ball liegt: Am Ende stehen sich alle gegenseitig im Weg. Das kann Deutschland einfach besser.

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